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Archiv-Artikel

Tochterprinzessin hat Langeweile

ROMEO UND JULIA Was ist die Liebe einer verkommenen Welt, in der schon die Kinder Pornos schauen? Lars Eidinger lässt in seiner zweiten Regiearbeit an der Berliner Schaubühne Romeo Popsongs für Julia singen

Junge Mädchen tanzen aufreizend wie Tabletänzerinnen zwischen den älteren Männern herum

VON ESTHER SLEVOGT

Die berühmteste Szene des Stücks ist auch die schönste an diesem Abend: wenn Romeo Julia seine Liebe erklärt. Julia sitzt oben in einem Sperrholzturm mit Spielschlossanmutung – gerade so, wie es Eltern heutzutage in die Zimmer ihrer Kinder bauen. Und Romeo steht unten und versucht, eine Sprache der Liebe zu finden.

Aber das ist in unserer, seit mehr als einem halben Jahrhundert von den vorgestanzten Formeln des Pop dominierten und vor allem sexualisierten Welt natürlich schwer. Und so zappt sich der Schauspieler Moritz Gottwald, der in Lars Eidingers zweiter Regiearbeit den Romeo spielt, in seinem albernen spielanzughaften Strumpfhosen-Outfit mit Elisabethaner-Halskrause durch die Liebeshits der Popgeschichte wie in einer Casting-Show. Selbstredend selbst singend: mit hilflos charmantem Lächeln immer nur die Anfänge anreißend, von der Rockballade zum Rap. Iris Becher, die Julia dieses Abends, sitzt – mit Tütü und Glitzertrickot ganz Tochterprinzessin heutigen Zuschnitts – auf ihrem Hochbett-Spielturm und schaut mit gelangweiltem Lächeln auf den Jungen herab, der da nun ihre Kinderzimmeridylle entern will.

Dass diese Idylle gegen die Realität gebaut ist, in der diese Kinder aufwachsen, das konnte man vorher sehen, als ein Fest im Hause Capulet diese Welt als eine heillos sexualisierte und brutalisierte vorführte. Regine Zimmermann stakste als Julias Mutter Lady Capulet und schrill-ordinäre Nymphomanin im Vagina-Outfit herum, sich jedem anbietend, der ihre Wege kreuzt. Junge Mädchen wie die vierzehnjährige Julia (denn so alt ist sie bei Shakespeare!) tanzen, kaum dem Barbiepuppen-Alter entwachsen, wie aufreizende Tabletänzerinnen zwischen den älteren Männern herum.

Man hat im Affekt ebenso schnell Sex, wie man auch schon mal jemanden totschlägt. Feinmotorik der Gefühle: Fehlanzeige. Die Jungs der verfeindeten Clans, aus denen die Liebenden stammen, Romeo Montague und Julia Capulet, können sich unter Liebe nur harten Sex vorstellen – bei anschließender Verächtlichmachung der gerade noch unerfahrenen Sexualpartnerin, gerade so, wie es im wirklichen Leben auf Internetplattformen wie IGossip gang und gäbe ist. Was in der von Eidinger in der Schaubühne verwendeten Übersetzung von Thomas Brasch besonders gut funktioniert, die locker wie schonungslos in der Gossen- und Jugendsprache wildert.

In einer derart verfassten Welt kann die Liebe, so, wie sie dann plötzlich über Romeo und Julia kommt, nur Störgeräusch und Überforderung in einem sein. Die Tragödie ist also programmiert. In dieser wohlstandsverwahrlosten Welt, wo die Kinder alles über Sex wissen, bevor sie selbst welchen hatten (und nichts über die Liebe) – und zwar aus dem pornografischen Material, das ihnen Popindustrie und Internet frei Haus liefern, hat Lars Eidinger seine Romeo-und-Julia-Inszenierung angesiedelt. Das ist profund und zwingend gedacht. Es ist etwas schade, dass Eidinger keine Geduld aufbringt, diese Geschichte wirklich auszuerzählen. Stattdessen gibt es ein wildes und überdrehtes Shakespeare-Happening.

Das britisch-dänische Neo-Punk-Duo The Echo Vampers liefert live einen schrillen Soundtrack zum hochgetunten Spiel der achtköpfigen Schauspielertruppe. Sängerin Iza Mortag Freund kreischt im Vampir-Outfit die Songs auf einer Extrabühne, die rechts neben dem holzgerahmten Hauptschauplatz in der Mitte aufgebaut ist. Dort zündet Eidinger ein szenisches Feuerwerk. Das macht immer wieder Spaß. Allerdings ist das alles ein wenig grobmotorisch zusammengebaut. Und wenn der Spaß aufhört, es also ernst wird auf Nicole Timms Bühne, dann werden die Monologe tremoliert wie im Kleinstadttheater.

Wunderschöne Bilder gibt’s auch: Julia im weißen bühnenfüllenden Hochzeitstüll, der dann langsam von Theaterblut durchtränkt wird. Eine Kindkönigin im rosa Strampelanzug (die zwölfjährige Maria Matschke), die aus einem der Spielzeughäuser aus Pappe steigt, mit der in diesem Bühnenkinderzimmer die Stadt Verona markiert ist und die schreiend ineinander verkeilten Erwachsenen zur Raison ruft. Es sind also die Kinder, die mal wieder die Kastanien für die Erwachsenen aus dem Feuer holen müssen, sagt dieser Abend uns in seiner ganzen spielfreudigen Naivität. Romeo und Julia stehen am Ende auch wieder auf. Unsere verkommene Welt kann also doch gerettet werden! Wir wollen es ausnahmsweise glauben.