LESERINNENBRIEFE
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Ins Gegenteil verkehrt

■ betr.: „Im Steuersumpf Europas“, taz vom 16. 4. 13

Dick springt es den Leser an: Einsparungen sind notwendig! Notwendige Einsparungen! Sparen, Sparen, Sparen, sagt Wolfgang Schäuble, und so scheint es, auch Sven Giegold. Liest man aber den ganzen Artikel, liest man auch: „Die soziale und ökonomische Situation in den Krisenländern verträgt kein weiteres Anziehen der Sparschraube.“ Was denn jetzt? „1.000 Milliarden Steuereinnahmen versinken im Sumpf aus Steuerhinterziehung, aggressiver Steuervermeidung und Schwarzarbeit. Mehr als die öffentlichen Defizite aller EU-Länder zusammen. Geld, das in den Krisenstaaten dringend für den Abbau der Staatsverschuldung gebraucht wird.“ Muss man also gar nicht sparen! So wird ein Text in sein Gegenteil verkehrt. Es zeigt aber eines: Wir haben alle schon tief verinnerlicht, dass wir bezahlen sollen. Da nickt der Untertan in uns leise und bedächtig. Da muss schon mal ein Verfassungsgericht entmachtet werden, wenn es um so wichtige Dinge wie das Sparen geht. Das, so sagte Hannah Arendt, ist das radikale Böse: die Weigerung zu denken. Die Weigerung, zur Kenntnis zu nehmen, wie unsere Birnen jeden Tag in Radio und Fernsehen weich gespült werden. Da wird das Sparen alternativlos – und das Unterbewusste jubelt es in die Schlagzeilen noch da, wo sich Widerstand regt. Giegolds Kritik entmachtet sich mit einem Satz selbst: „Einsparungen und Struktureformen sind sicherlich notwendig.“ Man kann nicht mit den Wölfen heulen, ohne Blut zu schmecken. Ich will nicht für die Banken sparen. MICHAH WEISSINGER, Essen

Voreingenommene Recherche

■ betr.: „Keine Info ohne Risiko“, taz vom 16. 4. 13

„Die BBC hat drei 7Fernsehreporter undercover nach Nordkorea eingeschleust“ – als verkleidete britische Jungakademiker. Kollege Kruse beantwortet alle Fragen hinsichtlich Sinn und Risiko des Unternehmens mit „Ja“. Einspruch: Zwei taz-Seiten weiter schreibt Falko Hennig: „… egal wie viele Zeitungen, Magazine und Internetseiten Kim Jong Un mit rotem Kopf, irrem Blick, Atompilz oder anderen Insignien des Wahnsinns zeigen, er unterscheidet sich von uns minimal. (…) Wenn jemand geisteskrank ist, dann ist es nicht mehr nötig, sich mit seinem Weltbild auseinanderzusetzen.“ Eine solche Auseinandersetzung gelingt mit heruntergelassenem journalistischem Visier weniger als in offener Konfrontation mit Kommunikationswächtern einer Ideologie. Will uns Jürn Kruse oder die BBC weismachen, die drei verkleideten Reporter hätten bei ihren verdeckten Blicken links und rechts vom Reiseweg der studentischen Reisegruppe mehr über nordkoreanische Realitäten erfahren können als drei angemeldete Reporter auf ihrem offiziell kontrollierten Reiseweg? Sind TV-taugliche Eindrücke, die unter „Gefahr für Leib und Leben“ gesammelt werden, wahrheitsgetreuer als solche, die mühselig Kommunikationswächtern einer Ideologie abgerungen werden? Und schließlich: Belegt nicht schon das angewendete Verfahren die Voreingenommenheit des Recherche-Ansatzes?

KLAUS JÜRGEN SCHMIDT, Balge-Dolldorf

Wichtiger Punkt ausgelassen

■ betr.: „Der eine kann nicht mehr“, taz vom 18. 4. 13

Ein interessanter Artikel. Leider lässt er einen wichtigen Punkt aus:

Dank der Beitragsbemessungsgrenze zahlt ein mittelmäßig gut verdienender Familienvater bei einem Bruttoeinkommen von 4.900 Euro in Ostdeutschland den Rentenversicherungshöchstsatz von ca. 1.000 Euro. Beim Geringverdiener schlägt der Rentenversicherungsbeitrag von 18,9 Prozent des Bruttolohnes zu. Ein freiberuflicher Spitzenverdiener zahlt, selbst wenn er ein Millioneneinkommen hat, im Tarifgebiet Ost lächerliche 926,10 Euro pro Monat in die Rentenversicherung ein, dieser Beitrag wurde 2013 sogar noch gesenkt.

Noch aberwitziger wird es bei der Krankenversicherung, wo oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegende „Superreiche“ keinen Cent für die Solidargemeinschaft einzahlen müssen, da sie sich privat versichern können. Das aktuelle System der Rentenversicherung bestraft den Gering- und Mittelverdiener, belohnt hingegen den Spitzenverdiener. Warum wird nicht endlich an dem Anachronismus der Beitragsbemessungsgrundlage gerüttelt?

Im Zeitraum von 2003 bis 2011 gab es in Deutschland ca. 800.000 (!) Einkommensmillionäre – eine Gruppe, die sicher nicht verarmen würde, wenn sie mehr als ca. 1.000 Euro/Monat in die Rentenversicherung abführen müsste. Durch die Mehreinnahmen könnte eine Wiedereinführung der Erwerbsunfähigkeitsrente finanziert werden. Diese halte ich, wenn der Einzelfall ernsthaft medizinisch geprüft würde, für das fairste Mittel, was vor allem den Einzelnen berücksichtigt. THOMAS KRATZ, Berlin