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Archiv-Artikel

Erinnerungsfragmente und die gute alte Leckmuschel

LITERATUR? Der Kabarettist Heinz Strunk hat seinen dritten „Roman“ vorgelegt. Er hätte es besser bleiben lassen

Mathias sitzt fest. Höher klettern will er nicht, runter kann er nicht. Über ihm ruft Freund Martin stolz: „So weit oben war ich noch nie.“ Mathias denkt: „Jetzt fangen auch noch meine Beine an zu schlottern! Ich werde es nie wieder bis nach unten schaffen.“

Irgendwie schafft er es. Andernfalls würde es Heinz Strunks neuen „Roman“ „Junge rettet Freund aus Teich“ nicht geben. Auch die anstehenden Lesungen – wo Strunks „Literatur“ gemeinhin am besten funktioniert – mit dem Hamburger Musiker, Studio-Braun-Mitglied, Autor und Gelegenheitsschauspieler wären undenkbar. Strunks Buch ist der letzte Teil einer lose zusammenhängenden autobiografischen Reihe, die mit dem bemerkenswert tragikomischen „Fleisch ist mein Gemüse“ durchaus überzeugend begann und mit „Die Zunge Europas“ vier Jahre später ihre schlecht gelaunte Mitte fand.

Nun also die Kindheitserinnerungen des 50-jährigen Entertainers. Erst ist der Ich-Erzähler sechs, dann zehn, schließlich 14. Der Erzählton variiert; kindlich, langweilig beschreibend, literarisch risikolos bleibt er bis zum Schluss. Typische Kinderabenteuer werden gemeistert, dazu gibt’s Mett- und Leberwurst.

Bei Oma Emmi macht Mathias Land-Ferien, aber das Leben ist kein Freizeitbauernhof: Mamas Depressionen werden schlimmer und am Ende ist Strunk auf seinem Lieblingsterrain, der saumäßig tristen Pubertät. Aber andere Kinder hatten’s auch nicht leicht. Empathie als emotionales Lektüreschmiermittel stellt sich am allerwenigsten ein, wenn man erinnerndes Erzählen bloß über – ausgesprochen uninteressante – Anekdoten zu gestalten weiß.

Strunk erzählte es dem Fernsehsender 3Sat auf der Leipziger Buchmesse aus Versehen selbst: Er habe „Erinnerungsfragmente aufgeschrieben“ und versucht, sie „zu einer halbwegs sinnvollen Geschichte zu verknüpfen“. Genau so liest sich das Buch.

Was Strunks Interviewer Jochen Werner nicht hinderte, dem Autor öffentlich-rechtlich um den Bart zu kraulen, und sich – großes Kindheitserinnerungskino des „Easy Reading“ – über vollgesabberte Leckmuscheln zu freuen. Wenn sonst nichts hilft, hilft Nostalgie, stellt (literarische) Leerstellen mit Bedeutungskitsch zu. Klappt besonders gut und widerlich bei Lese-Events. Klopfen wir uns gemeinsam auf die Schenkel! Tanz den Schulterschluss-Boogie, Baby! Waren das Zeiten, ey! Die gute alte Leckmuschel – da können alle mit.  MICHAEL SAAGER