: Zwischen Landei und Hipster
MEDIEN Die Stadt boomt. Aber die Stadtmagazine haben kaum was davon. Und auch das regionale Fernsehen schlägt daraus kein Kapital
■ Der Berliner Verlag, zu dem der tip-Verlag gehört, ist seit 2009 im Besitz des Kölner Verlagsgruppe M. DuMont Schauberg (MDS).
■ Die Insolvenz der MDS-Zeitung Frankfurter Rundschau (FR) und die anschließende Übernahme durch die Frankfurter Allgemeine Zeitung haben unmittelbare Folgen für den Berliner Verlag: Die Politik- und Wirtschaftsseiten der FR wurden bislang von einer Redaktionsgemeinschaft zugeliefert, bis auf den Regional- und Lokalteil wurde die komplette FR in Berlin produziert. Dafür floss Geld von Frankfurt nach Berlin – ein siebenstelliger Betrag im Jahr, der nun wegfällt. Der Betriebsrat rechnet mit Stellenstreichungen.
■ Im Verlag heißt es, dass der tip mittelfristig in den Blickpunkt rücken wird, sobald die großen Probleme gelöst sind. (tla)
VON TORSTEN LANDSBERG
Es ist eng auf den Bürgersteigen, Touristen mit Reiseführern und Fotoapparaten in den Händen tummeln sich rund um den Checkpoint Charlie. Vor einigen Jahren hätten viele von ihnen wohl noch ein weiteres Utensil mitgeführt: Wer früher in die Stadt kam, ob als Besucher oder Zuzügler, informierte sich gerne in den Stadtmagazinen darüber, wie Berlin gerade tickte, welche Clubs man aufsuchen musste, wer in der Stadt auftrat.
Die Verkäuferin im Kiosk an der nächsten Straßenecke schüttelt den Kopf: tip und Zitty, Berlins große Stadtmagazine, würden die Touristen schon lange nicht mehr aus dem Regal nehmen, nicht mal die deutschsprachigen Besucher. Das war mal anders. Es gab Zeiten, in denen der tip an Abonnenten in die entlegensten Winkel der Republik geschickt wurde und selbst in süddeutschen Bibliotheken auslag. Er verkörperte die Sehnsucht nach dem Alternativen einer Stadt, die Symbol für eine Weltoffenheit war und ist wie sonst nichts in Deutschland.
Heute brüten Verlage überall im Land über der Frage, wie sie das Überleben ihrer Printmedien sichern können. Auch die taz begegnet einem veränderten Leseverhalten mit ihrer neuen Wochenendausgabe. In dieser Gemengelage sind Stadtmagazine eine besonders bedrohte Sparte: Ende vergangenen Jahres hat der Prinz aufgegeben, das bundesweite Stadtmagazin mit Regionalteilen. In Mannheim traf es das Magazin Meier.
Deutschlands auflagenstärkstes Stadtmagazin wird einen Steinwurf vom Fernsehturm entfernt produziert. Die Tür zu den Redaktionsräumen im siebten Stock des Berliner Verlags ist geschlossen. Der Empfang beim tip ist nicht besetzt, die Stelle wurde wegrationalisiert. Der tip hat bluten müssen in den vergangenen Jahren.
Robert Rischkes Büro liegt am Ende eines langen Flurs, von dem Räume abgehen, in denen kaum noch Leute sitzen. Seit 2004 führt Rischke die Geschäfte des tip-Verlags, damals gab es hier rund 100 Mitarbeiter, heute sind noch 28 fest angestellt. Ein bitterer Kahlschlag? Rischke nickt.
Einige Kürzungen waren betriebswirtschaftlich sinnvoll: Seit Mitte der Neunzigerjahre gehört der tip-Verlag zum Berliner Verlag (siehe Infotext zur „angespannten Lage“ dort), in dem auch die Berliner Zeitung und der Berliner Kurier erscheinen. Solange die Erlöse durch Verkäufe und Anzeigen sprudelten, hatte jede Publikation im Haus eigene Buchhaltungen und Personalabteilungen, die später zusammengelegt wurden.
Der Kostendruck hat aber auch das Heft unmittelbar getroffen. Das Layout wurde ausgelagert, ebenso die TV-Beilage, die nun zugeliefert wird. Überlegungen, auch die Fotoredaktion auszugliedern, wurden nach Protesten aus der Redaktion verworfen.
Wenn Rischke über Berlin spricht, hat er eine brodelnde Stadt im Blick mit einem coolen Charakter, der junge Menschen anziehe. Gerade hier müssten die Voraussetzungen für sein Heft doch eigentlich ideal sein: Die Stadt boomt, gilt als Mekka der Kreativen, die Bevölkerungsprognosen überschlagen sich. Wo sollte ein Stadtmagazin leichter an neue Leser gelangen? Robert Rischke bremst: „Zugezogene sind schwer für lokale Marken zu gewinnen. Es ist nicht leicht, sie heranzuführen. Dazu gibt es in Berlin viele kostenlose Magazine, mit denen wir auch im Wettbewerb stehen.“
Der Markt dieser kostenlosen Hefte ist groß. Sie liegen beim Friseur und in Cafés aus, die Bandbreite ist riesig: Kiezzeitungen und Special-Interest-Angebote wie die Prenzlberger Ansichten, das Kunst Magazin Berlin, Himbeer für Leute mit Kindern. Die Qualitäten der Publikationen sind mitunter sehr unterschiedlich – aber gerade auch die sublokale Information kommt bei vielen Lesern an, sie reicht ihnen aus. Und internationale Neuberliner fängt der englischsprachige Exberliner ab, für den allerdings 2,90 Euro zu zahlen sind.
Daneben gibt es auch noch die Zitty, die wie der tip zweiwöchentlich erscheint und ähnliche Probleme plagen. Dort fürchten die Mitarbeiter, das Magazin werde in absehbarer Zeit als Beilage des Tagesspiegels enden, zu dessen Verlagsgruppe die Zitty gehört.
Ein Modell aus London
ROBERT RISCHKE, TIP-GESCHÄFTSFÜHRER
Im Bemühen, neue und vor allem jüngere Leser zu erreichen, wurden sie beim tip im vergangenen Herbst hellhörig, als in London das traditionsreiche Stadtmagazin TimeOut seine Erscheinungsweise umstellte: Das 1968 gegründete Magazin, zuvor 3,25 Pfund (circa 3,80 Euro) teuer, erscheint seit September kostenlos, gleichzeitig wurde die Auflage von 55.000 auf 300.000 Exemplare erhöht. Die Hoffnung: Sinkende Verkaufserlöse durch ein Plus an Anzeigen aufzufangen und die Zielgruppen bei Lesern wie Werbekunden auszubauen.
„Wir haben das Modell durchgespielt, aber das ist auf den tip nicht anwendbar“, sagt Rischke. Die Vertriebserlöse des Magazins liegen bei deutlich über einer Million Euro im Jahr, die bei einer kostenlosen Erscheinungsweise durch Anzeigen eingenommen werden müssten. Das Risiko von Einnahmeverlusten ist zu groß.
TimeOut gab trotzdem einen Denkanstoß: „Wir machen uns natürlich Gedanken über die Gruppe der 20- bis 35-Jährigen, einem viel jüngeren Bereich als unsere Stammleserschaft“, sagt Rischke. Berlin sei eine sehr junge Stadt, „hier gibt es Möglichkeiten, mit einem kostenlosen Magazin Leser zu gewinnen“. Derzeit wird eine Art kleine Heftschwester konzeptioniert: jünger, thematisch näher am Mainstream, mit den Schwerpunkten Kino und Musik. Der Ableger soll im nächsten Jahr auf den Markt kommen – kostenlos.
Weitab vom Schuss
Claudia Nothelle sitzt am Konferenztisch ihres riesigen Büros im Haus des Rundfunks, die Sonne scheint herein. Das Gebäude in der Masurenallee hat eine große Tradition, liegt aber weitab vom Schuss, vom Trubel der Stadt. Der Standort eignet sich ganz gut als Metapher, denn auch das Fernsehprogramm des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) ist weit entfernt vom Puls der Metropole.
Nothelle ist seit 2009 Programmdirektorin der Sendeanstalt für Berlin und Brandenburg, deren Radiosender ein hohes Ansehen genießen. Das Fernsehprogramm fristet dagegen ein eher karges Dasein: Wer an den RBB denkt, dem fällt die „Abendschau“ ein und vielleicht der Reporter Ulli Zelle. Von allen Dritten Programmen wird der RBB am seltensten eingeschaltet. Sein Image ist ausbaufähig.
Kritik an ihrem Sender begegnet die 49-jährige Nothelle kämpferisch, einiges empfindet sie als unfair. Die Wahrnehmung werde den Bemühungen oft nicht gerecht. Nothelle ist zur Selbstkritik fähig, sie sieht die Dinge realistisch. Als „angestaubt“ hat sie in der Vergangenheit einiges bezeichnet, was in ihrem Sender lief. Aber welchen Ton gilt es zu treffen?
Nothelle überlegt. „Ein Ton reicht nicht aus – wir müssen eine Vielstimmigkeit treffen“, sagt sie dann. Jeder habe schließlich ein eigenes Berlinbild und eigene Vorstellungen davon, was Berlin ausmache. Hinzu kommen die Befindlichkeiten zweier Bundesländer, deren Strukturen sehr unterschiedlich sind: Hier der Stadtstaat, dessen Viertel zwischen pulsierender Metropole und Biederkeit wechseln, dort das Flächenland, in dem einige Regionen wachsen, während andere absterben. Ein regionaler Fernsehsender muss eine breite Palette abdecken, um im Idealfall den Neuköllner Hipster ebenso anzusprechen wie das Landei in der Uckermark.
Claudia Nothelle gefällt diese Zuspitzung nicht. „Es ist ja nicht so simpel, dass alle in Berlin hip, schick und modern sind und alle in Brandenburg Landeier. Wir müssen auch den Schrebergärtner aus Reinickendorf ansprechen oder den Studenten in Cottbus, der sich sehr für Kultur interessiert.“
■ In seinem Wirtschaftsplan 2013 kalkuliert der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) mit Gebührenerträgen in Höhe von 354,9 Millionen Euro. Durch Werbung und weitere Erträge sind Gesamteinnahmen von rund 408 Millionen Euro eingeplant. Dem stehen 417,4 Millionen Euro an Aufwendungen gegenüber, der größte Teil entfällt mit 313,9 Millionen auf den Bereich Programmdirektion (Personal, Redaktion, Produktion). Daraus ergibt sich ein Fehlbetrag von gut 9 Millionen Euro.
■ Die Kalkulation ist vorläufig, denn noch ist unklar, ob der RBB vom neuen Rundfunkbeitrag, der nicht mehr nach Zahl der Empfangsgeräte, sondern pro Wohnung erhoben wird, profitiert. Zwar gilt Berlin als Hochburg der Gebührenschwänzer, es ist aber fraglich, ob künftig alle bisherigen Schwarzseher erfasst werden können. Zudem ist der Anteil der aus sozialen Gründen von der Gebühr befreiten Zuschauer in Berlin besonders hoch. (tla)
Gut 350 Millionen Euro nimmt der öffentlich-rechtliche Sender jedes Jahr allein über Gebühren ein. Damit müsste sich eigentlich etwas bewirken lassen. Im vergangenen Jahr hat Nothelle eine Programmreform durchgesetzt, Sendungen gekippt, neue Formate ausprobiert. Trotzdem darf man man bezweifeln, dass die Maßnahmen Früchte tragen werden: In den vergangenen Jahren hat der RBB die preisgekrönte Doku „24h Berlin“ produziert, die von Regisseur Andreas Dresen verantwortete Reihe „20 x Brandenburg“, Kurt Krömer kam hier groß raus. Das zweifelhafte Image der grauen Maus aber blieb.
„Ein regionales Fernsehprogramm wird erst ab 30, 35 Jahren wahrgenommen , wenn eben regionale Themen ein größeres Gewicht für einen bekommen“, sagt Nothelle. Wenn die Parties gefeiert sind und die Familienplanung fortschreitet, verschieben sich die Bedürfnisse. „Für Studenten und Azubis stehen andere Fragen im Mittelpunkt – und sie suchen sich ihre Infos aus dem Netz oder über das Radio“, sagt Nothelle. „Da muss man realistisch sein.“
Regionalität als Antwort?
Geht es um die Zukunft der Medien und die Frage, was sie ihrem Publikum inhaltlich verstärkt liefern müssen, lautet die Antwort häufig: Regionalität. „Es gibt den offensichtlichen Trend an regionaler Information“, bestätigt Norbert Bolz, Medienwissenschaftler der TU Berlin. Müssten Medien wie tip und RBB, die in ihrer Berichterstattung auf regionale Themen beschränkt und per Definition nah dran sind, daraus nicht einen klaren Vorsprung ziehen? Nein, sagt Bolz: „Wenn Sie in Lüneburg die Nachrichten einschalten, werden Sie nahezu jeden Tag mit Berlin konfrontiert.“ Dadurch wachse eine Sehnsucht nach dem Lokalen, das die eigene Lebenswirklichkeit abbilde. „In einer Metropole ist das anders“, urteilt Bolz.
Aber was ist mit der Boomtown, mit dem kreativen Geist der Stadt? Dass die Relevanz von Stadtmagazinen gerade bei jungen Leuten gen Null tendiert, liege nicht an redaktionellem Versagen, meint Bolz. Rezeption und Weitergabe von Informationen hätten sich schlicht weiterentwickelt: ein schnellerer Takt, oft in Echtzeit. Wie soll ein Heft, das alle zwei Wochen erscheint, da noch Duftmarken setzen?
„Gefragt sind aktive Medien wie Twitter“, sagt Norbert Bolz: Nachrichten und Informationen können unmittelbar weitergegeben, unter Nutzern ausgetauscht und diskutiert werden – eine lebhafte Interaktion. Deshalb nehme auch die Relevanz des Fernsehens ab: „Das ist ein passives Medium, man schaltet ab, wenn man einschaltet.“
Am Sonntagmorgen tönt Werbung aus dem Radio am Frühstückstisch: „tip – Deutschlands größtes Stadtmagazin“. Da ist er wieder, der Slogan aus Zeiten, in denen die Auflagenstärke das Maß der Dinge war. Nun soll ein junger tip-Ableger die Zukunft retten – ein Printprodukt, ausgerechnet. Dabei liegen die Baustellen woanders.
■ Der tip wurde 1972 gegründet und war damit das erste Stadtmagazin in Deutschland. Heute kostet das alle zwei Wochen erscheinende Heft 3,50 Euro. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres lag die Druckauflage bei rund 44.500 Exemplaren. Zehn Jahre zuvor waren es mit 89.000 noch doppelt so viel. Die Zahl der Verkäufe sank im gleichen Zeitraum von 69.000 auf knapp 32.000 Hefte.
■ Zum Vergleich: Die Zitty, die zum tip jeweils um eine Woche verschoben erscheint, hat mit ähnlichen Verlusten zu kämpfen: Die Zahl der verkauften Exemplare ging von knapp 63.000 (04/2002) auf 30.000 (04/2012) zurück, die Auflage sank im gleichen Zeitraum von 84.000 auf 43.000. (tla)
Schon vor Jahren sind Veranstaltungsdaten, einst der zentrale Bestandteil der Stadtmagazine, ins Internet abgewandert. Der tip hat die Chance verschlafen, das mit redaktionellen Inhalten zu verknüpfen. Mehr noch, auch die Technik steht jeder Kreativität im Weg. Geschäftsführer Robert Rischke nennt das Online-Redaktionssystem „rückständig“. Es ist an das des Hefts gekoppelt, eine Aktualisierung der Inhalte ist nur im Heftturnus möglich. Heißt: Wenn ein Redakteur eine Theaterpremiere besucht, kann am nächsten Tag online nicht aktuell darüber berichtet werden. Die tip-App ist eine schlichte 1:1-Umsetzung des Hefts, ohne zusätzliche Angebote. In die neuen Medien hat es der tip bislang nicht geschafft.
Der tip steht unter Druck. Beim Berliner Verlag ist die Lage derzeit angespannt, auch das Stadtmagazin stehe auf dem Prüfstand, heißt es aus Verlagskreisen. Um möglichst bald schwarze Zahlen zu liefern, werden neben dem Tagesgeschäft neue Geschäftsfelder besetzt: „Wir sind gezwungen, neue Wege zu gehen“, sagt Rischke. Es gibt Gastronomie-Sonderausgaben, die Redaktion liefert Inhalte für Marco-Polo-Reiseführer und Booklets zu, die dem Heft beiliegen. Intern, so erzählt es jemand aus der Redaktion, seien diese Maßnahmen als alternativlos bezeichnet worden.
Außerdem bietet der tip-Verlag Barista-Kurse und Führungen an, etwa durch das stillgelegte Backkombinat in Lichtenberg. Große Einnahmen sind bei Teilnehmerzahlen im niedrigen zweistelligen Bereich zwar nicht zu erzielen, aber es geht um die Markenbindung. Vielleicht kommt der Griff nach dem Strohhalm zu spät. „Die Stadtmagazine wird das gleiche Schicksal ereilen wie die Gelben Seiten“, sagt Medienwissenschaftler Bolz. Seit die Veranstaltungsdaten, lange Zeit ein Alleinstellungsmerkmal von Stadtmagazinen, über das Internet verfügbar sind, „ist der eigentliche Anspruch der Magazine obsolet“.
Claudia Nothelle kann die Sache entspannter angehen. Die Einnahmen ihres Senders sind sicher – unabhängig von der Zahl des erreichten Publikums. Der Luxus des Öffentlich-Rechtlichen. Folglich kann sie verschmerzen, wenn sich junge Zuschauer nicht mehr an Sendezeiten halten. Nothelle denkt längst weiter: „Wir bekommen gerade ein Forschungstool, um die Nutzung unserer Onlineangebote noch genauer analysieren zu können“, sagt sie euphorisch.
Nothelle ist die erste und bislang einzige multimediale Programmdirektorin aller ARD-Anstalten, sie verantwortet Hörfunk, Fernsehen und Online. Warum das Fernsehprogramm auf Biegen und Brechen verjüngen, wenn sich die Zielgruppe sowieso im Internet befindet? Mit den anderen ARD-Anstalten werde für die Mediathek an einer Einstiegsseite für die jungen Zuschauer gearbeitet. „Wir überlegen, wie wir das geschickt mit den jungen Radioprogrammen vernetzen“, sagt sie. „Die Anbindung junger Zuschauer kann nur multimedial funktionieren.“ Vom alten Medium Fernsehen spricht sie nicht.