: Gefundene Brüder und wütende Banker
MAX-OPHÜLS-FESTIVAL Das Treffen deutscher Nachwuchsregisseure zeigte viel in der Form Missglücktes, aber auch die eine und andere Perle wie Filippos Tsitos’ „Plato’s Academy“
VON ANDREAS RESCH
Dass die meisten Filmvorführungen auf dem Max-Ophüls-Festival in einem am Saarbrücker Stadtrand gelegenen Multiplex stattfinden, ist einerseits nicht gerade stilvoll. Andererseits bietet sich einem dadurch die Möglichkeit, sich auf das Wesentliche, das Filme-Anschauen, zu konzentrieren, ohne dabei je das Kino verlassen zu müssen. Dieses Jahr war es das Festival der „realen Begebenheiten“: Kaum ein Filmemacher jedenfalls, der sich nicht bemüßigt fühlte zu betonen, dass sich die Ereignisse, die man soeben auf der Leinwand gesehen hatte, tatsächlich so oder zumindest doch so ähnlich zugetragen hätten.
Eine Orientierung an realen Ereignissen ist ja auch nichts Schlimmes. Problematisch wird es allerdings, wenn die gewählte Form überhaupt nicht zum gefundenen Stoff passt, ja diesem sogar entgegenarbeitet – ein Merkmal, das vielen Filmen, egal ob kurz, mittellang oder lang, zu eigen war. Beispielsweise „Wolf unter Schafen“ von Alex Eslam, der eine eigentlich tragische Vater-Sohn-Geschichte – der Vater ist Polizist, der Sohn Bankräuber – in einem derart auf schnelle Gags ausgerichteten Tonfall erzählt, dass die Story schnell jedwedes Wuchtpotenzial einbüßt. Oder „Waffenstillstand“ von Lancelot von Naso, in dem eine Gruppe von Ärzten und Journalisten während des Irakkriegs in einem Minivan ein Krankenhaus in Falludscha ansteuert und sich die Geschichte, anstatt sich auf die latent schwelenden Konflikte zwischen den Figuren zu konzentrieren, in einen allzu vorhersehbaren Action-Plot verrennt.
Dafür weiß man jetzt endlich, warum Kevin Smith nach „Clerks“ aufgehört hat, gute Filme zu drehen: Sein Geist ist in den Körper des griechischen Filmemachers Filippos Tsitos eingefahren. Dessen wundervoll trockene Slacker-Komödie „Plato’s Academy“ um einen alternden Kioskbesitzer, dessen Mutter nach einem Schlaganfall plötzlich anfängt, albanisch zu sprechen, ist ein Meisterwerk des skurrilen Humors. An wenigen, stets wiederkehrenden Schauplätzen situiert, erzählt der Film die Geschichte eines Mannes, der seine Identität verliert und dafür einen Bruder gewinnt.
Der wohl polarisierendste Film auf dem diesjährigen Max-Ophüls-Festival war „Picco“ von Philip Koch, der vom Horror des deutschen Justizvollzugs handelt. Neuankömmling Kevin, genannt Picco, betritt den Film als sensibler junger Mann, er wird ihn als Mörder verlassen. Durch seine akribische Darstellung von Gruppendynamiken gelingt es Koch, die Geschehnisse weder als vermeidbar noch als zwangläufig zu schildern, sondern schlicht als nachvollziehbar.
Zudem beeindruckt, wie in „Picco“ Menschen in Relation zu den Räumen gestellt werden, die sie umgeben. Die langen Einstellungen lassen den Zuschauer jenen Druck verspüren, dem die Figuren permanent ausgesetzt sind. Erst draußen, beim Hofgang, gerät die Kamera plötzlich in Bewegung, als wolle sie jeden Meter unter freiem Himmel sorgfältigst kartografieren. Schwer zu ertragen und in ihrer Drastik zumindest fragwürdig ist allerdings die letzte halbe Stunde des Films, in der minutiös die Hinrichtung eines Zellengenossen dokumentiert wird. Hier ist alles nur noch reine Qual, wie man sie seit Hanekes „Funny Games“ selten erlebt hat.
Eine spannende Reise durch die Zeit ist die Dokumentation „Auf der anderen Seite der Leinwand“ über das legendäre Kreuzberger Kino Moviemento. Anhand von Interviews, die Filmemacher Bernd Sobolla über drei Jahre hinweg gedreht hat und denen er durch historische Exkurse, die das Kino und dessen Betreiber im Wandel der Zeit zeigen, eine Struktur gegeben hat, erzählt der Film ein Stück deutscher Kinogeschichte. Der Schwerpunkt liegt dabei auf jener verrückt-genialen Epoche in den späten Siebzigerjahren, als das Moviemento noch Tali hieß und von Wieland Speck, Blixa Bargeld und dem Ton-Steine-Scherben-Manager Elser Maxwell betrieben wurde. Da standen spontane Frühstückstrips nach Paris ebenso auf der Tagesordnung wie Kurzbesuche von David Bowie.
Gewonnen hat den Max-Ophüls-Preis verdientermaßen „Schwerkraft“ von Maximilian Erlenwein. Ein Bankangestellter wird Zeuge, wie sich ein Kunde, den er selbst in den Ruin getrieben hat, vor seinen Augen das Hirn wegschießt, und taucht danach in eine schrill-düstere Zwischenwelt ab. Was an „Schwerkraft“ so begeistert, ist die ganz besondere Tonalität, in der sich die aus „Fight Club“ bekannte Lust am gewaltvollen Exzess mit einem zynischen Humor à la „Stromberg“ paart. Sorgfältig herausgearbeitete Figuren, ein toller Hauptdarsteller, Fabian Hinrichs, sowie ein soghafter, von Brian De Palmas „Carlito’s Way“ inspirierter Schluss machen „Schwerkraft“ zu einem außergewöhnlichen Kinoerlebnis.