: Buchmacher setzen auf Karlsruhe
Private Wettunternehmer erleben Boom. Große Kommunen in Nordrhein-Westfalen verzeichnen zahlreiche neue Wettbüros – vor allem in Problemstadtteilen. Warten auf Bundesverfassungsgerichtsurteil über staatliches Wettmonopol im Februar
VON MARTIN TEIGELER
Der Wirtschaftsaufschwung ist da: bei den Buchmachern. Seit Monaten eröffnen in den großen NRW-Städten immer neue Wettbüros. Weil das staatliche Oddset-Monopol bei Sportwetten auf der Kippe steht, nutzen zahlreiche Privatunternehmer die wachsende Unsicherheit in dieser rechtlichen Grauzone. Im letzten Halbjahr gingen allein in Essen 30 Buchmacher neu auf den umkämpften Markt. Die Stadt Duisburg verzeichnet ebenfalls eine Zunahme. Köln meldet einen Anstieg um „50 bis 60 Prozent“ bei den privaten Wettbüros, so eine Sprecherin der größten NRW-Stadt zur taz.
Hintergrund des aktuellen Booms: Weil Ende Februar das Bundesverfassungsgericht über eine mögliche Lockerung oder gar Abschaffung des staatlichen Wettmonopols entscheidet, werden die privaten Wettanbieter schon jetzt kaum noch als illegale Geschäftemacher verfolgt (siehe Kasten). Ein höchstrichterliches Urteil könnte Klarheit schaffen in der rechtlichen Grauzone zwischen Monopol, Sonderlizenzen, halblegalen Wettbüros und Internet-Buchmachern. Das Staatsprivileg wackelt offenbar. Die Richter hatten in einer Anhörung am 8. November jedenfalls ihr Missbehagen darüber angedeutet, dass der Staat, der über das Monopol das Glücksspiel eigentlich eindämmen soll, kräftig Werbung für seine eigene Standardwette Oddset betreibt. Die Gegner des Monopols pochen auf EU-Recht. Laut Artikel 49 des EG-Vertrag sind nämlich allen Bürgern in der Europäischen Union Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit garantiert.
Findige Geschäftsleute setzen jetzt voll auf Karlsruhe und schaffen im Vorfeld der Gerichtsentscheidung Fakten. Auch der Hoyzer-Skandal um Wettmanipulationen im Profifußball hat der Branche anscheinend eher genutzt als geschadet. „Weil wir spätere Schadenersatzklagen fürchten, wenn wir jetzt gegen die Buchmacher vorgehen, halten wir uns zurück“, heißt es aus den Aufsichtsbehörden. Man verhalte sich „neutral“, man „dulde“ dies jetzt und warte das Urteil aus Karlsruhe ab. „Wir befinden uns in einer Warteposition“, sagt die Kölner Stadtsprecherin Simone Winkelhog. Man sammle Informationen, schreite aber gegenwärtig nicht gegen die neuen Buchmacher ein. In der Domstadt gibt es mittlerweile 100 private Wettbüros.
In Dortmund sind es etwa 30 Buchmacher, in Essen kann man in rund 50 Betrieben auf Fußballspiele in aller Welt, Hunderennen in England oder Faustkämpfe in Asien wetten. „Die Wettbüros schießen wie Pilze aus dem Boden“, sagt Guido Krekeler vom Essener Ordnungsamt. Vor allem in den Problemstadtteilen im Norden der Ruhrgebietskommune suchen die Wettgeschäfte nach Stammkundschaft. Jeder neue Buchmacher bekommt in Essen ein Merkblatt, das auf die rechtliche Situation aufmerksam macht. „Die hören sich unsere Warnungen an und machen danach meistens trotzdem ein Wettbüro auf“, so Krekeler. Das Geschäft sei einfach zu lukrativ.
Anders als die staatliche Wette Oddset aus der Lottoannahmestelle bieten die privaten Buchmacher interessante Wettquoten und lukrative Gewinnmöglichkeiten. Wie groß das Potenzial der Branche ist, zeigt das Mutterland des Wettens. Im Vereinigten Königreich setzen allein die beiden größten kommerziellen Wettanbieter im vergangenen Jahr jeweils knapp 10 Milliarden Pfund um. Zum Vergleich: Oddset hat 2004 rund 480 Millionen Euro in die Staatskasse gespült.