Ein olympischer Witz

2006 wird bestimmt ein Honigschlecken: Stefan Bachmann inszeniert Kleists „Amphitryon“ am Deutschen Theater

Am Anfang ist es wie in der Bibel: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und Gott sprach: Es werde Licht!, und es ward Licht. Und so breitet sich von den Lüstern des Deutschen Theaters helles, grelles, gnadenloses Licht aus, um die Schädel der Zuschauer, die sich gerade anschicken, Kleists 1806 entstandenem Lustspiel „Amphitryon“ und dem schon vorab gefeierten Coming-back des Stefan Bachmann beizuwohnen, erstmal gründlich zu durchleuchten. Der Gott, der dann auftritt, ist ein Vorabendserien-Inspektor mit Trenchcoat und Schmeißfliegenbrille. Ein Witz-Jupiter, der sich bedeutsam nölig auf die Bühne schleicht und mittels seiner Knarre und mit großem Knall das Licht ausmacht. Also ward es Finsternis. Und im Dunkel begann das Spiel, mit dem Regisseur Bachmann, gerade von einer Weltreise zum Deutschen Theater zurückgekehrt, sich offenbar vorgenommen hat, alle Götter auf den Arm zu nehmen, denen man hier mehr oder minder Hochachtung angedeihen lässt. Ob sie Jupiter heißen oder Kleist, von den hehren Exegeten ganz zu schweigen.

Bei allem Witz und Wortspiel geht es in Kleists „Lustspiel nach Molière“ um eine zwar nicht tageschaufrische, aber durchaus noch brauchbare Frage: Wer bin ich, und warum bin ich nicht du? Und was ist das Ich denn überhaupt? Ganz wider Willen sehen sich Amphitryon, Feldherr der Thebaner, und sein Diener Sosias vor diese Frage gestellt. Um von der Liebe der Alkmene, Amphitryons Gattin, zu kosten, hat Olymps Herrscher Jupiter Amphitryons irdische Gestalt angenommen und, dem Kriegsheimkehrer zuvorkommend, eine Nacht mit Alkmene verbracht. Mit dem Erscheinungsbild des Knechtes Sosias musste sich hingegen Merkur (Alexander Khuon) begnügen – was dem Oberschurken unter den Olympiern, diesmal mit dem Auftrag betraut, bei Jupiters Schäferstündchen Schmiere zu stehen, offenbar gar nicht behagt. Auf brutalste Art, mit einer Schlagstocksalve, macht er dem Sosias seine Identität streitig, bis der hasenfüßige Diener, ein Pragmatiker vor dem Herrn, nichts mehr zu entgegnen wagt als: „Sage mir, da ich Sosias nicht bin, wer ich bin? Denn etwas, gibst du zu, muss ich doch sein.“Armer Tölpel in der Identitätskrise!

Derlei Jämmerlichkeiten sind bei Stefan Bachmann kurz vor Silvester allenfalls für Küchengespräche gut. Im Saal serviert wird die große Sause. Die Stück-Gans, entkernt, jeden Sinns und Hintersinns entledigt, dafür mit Zeichentrick-Retuschen und Tonspurtricks gefüllt, kommt ganz hübsch zugerichtet auf den Tisch. Im Takt eines zur Kinderweise abgewandelten Walkürenritts prasseln die Knüppelschläge auf Sosias nieder, der, bei Sebastian Blomberg ein äußerst wendiger, jeder Volte fähiger Diener, mit seinem Peiniger sogar ein bisschen mitwippt. Ein paar Szenen später wird er seinem Herrn zum Beweis des erlittenen Unglücks die Wunden auf Stichwort in Endlosschleife zeigen müssen, damit wir wissen, dass hier weder Verse noch Vorgänge übertrieben ernst zu nehmen sind. Ohne den Rotstift hart anzusetzen, ist Stefan Bachmann gelungen, Kleists Verwechslungs- und Verwirrspiel um die Mühen der Selbstvergewisserung auf eine ulkige Dreieckskomödie zurückzustutzen.

Wäre da nicht Anne-Ratte Polle, die hinterm blütenweißen Kissen, in Strapsen und schminkroten Lippen sich wonnestrahlend als Inbild aller Männerträume zeigt, fragte man sich, wozu denn überhaupt auf dieser Bühne so viel Aufwand betrieben wird. Schnippisch, zungenfertig und ohne jeden Zweifel selbstbewusst kontert ihre Alkmene den Gemahl, der die gemeinsame Liebesnacht abstreitet. Samuel Finzis Amphitryon, ein anfangs auftrumpfender, wild gestikulierender, hitzköpfiger, aber gewiss honetter Recke, darf sich ruhig die Finger wund klemmen am geschlossenen Fenster ihres Alkovens – dem Rasseweib ist er ohnehin nicht gewachsen. Ein Maulheld, für Wehleidigkeit anfällig, der umgehend zum Waschlappen mutiert, als sein offenbar potenterer Nebenbuhler die Tür aufreißt und sich die Störung verbittet. Viel zu sagen braucht der Donnergott (Robert Gallinowski) nicht dazu. Es reicht schon, sich gegen die Türpfosten zu stemmen und den strammen Oberkörper zu zeigen. Nach Theophanie sieht es nicht aus. Aber wer sagt, dass die unvorhergesehene Erscheinung eines finster dreinblickenden Muskelprotzes an der eigenen Haustür eine geringere Wirkung zeitigen würde als die eines Gottes?

Ohne Ach und Krach – und völlig arglos geht Bachmanns Einstand am Deutschen Theater über die Bühne. Ein Glück, dass zur schlussendlichen Enthüllung der amphitryonischen und Jupiter’schen Identität die Regie auf Blitz und Donner verzichtet hat. Dafür strahlen sich die ungleichen Gegenspieler einfach die Gesichter mit Taschenlampen an. Das sieht süß aus. 2006 wird bestimmt ein Honigschlecken.

AURELIANA SORRENTO