: Flitzen mit Bogen
Man hatte viel vor mit den Bogenbiathleten. Doch dann verlor der Biathlon-Verband IBU das Interesse
BERLIN taz ■ Ein Klacks, dachte sich Thorsten Sauter. Schaff ich doch mit links. „Ich war anfangs der Meinung, die Strafrunde sieht mich nie, weil daneben zu schießen, das ist ja ein Ding der Unmöglichkeit.“ Der Weltmeisterschaftszweite im Bogenschießen war viel größere Distanzen gewohnt, mikroskopisch kleine Ziele. Nun bekam er es mit einer Scheibe von 16 Zentimeter Durchmesser zu tun, und die sollte er aus nur 18 Meter Entfernung durchbohren.
Die Schwierigkeit ergab sich vorm Schuss: Sauter musste Bretter unter die Füße schnallen. Erst danach durfte er an den Schießstand. Plötzlich schien der frisch gebackene Bogenbiathlet Sauter eine automatisierte Übung verlernt zu haben. „Ich hatte überhaupt kein Gefühl mehr.“ Dafür plagte ihn Atemnot. Die Knie schlotterten. Das Ziel verschwamm. An ruhige Schüsse war nicht zu denken. „Das Feingefühl war nicht da und die Muskeln fühlten sich ganz komisch an.“ Seine Pfeile, die sonst vom Schwarzen verschluckt wurden, landeten abseits. „Es hat zwei Winter gedauert, bis ich mich auf die neue Anforderung eingestellt hatte.“
Biathleten haben für das zittrige Erlebnis am Schießstand schöne Vergleiche gefunden. Das Schießen sei so kompliziert wie der Versuch, nach einem Berglauf ein Fädchen ins Nadelöhr zu fitzeln. Oder es käme der Jonglage eines Kronkorkens auf einer Nadelspitze gleich – nach einem 400-Meter-Lauf. Sauter, der Pionier des Bogenbiathlons in Deutschland, hat zu Beginn seiner Zweikampfkarriere lernen müssen, dass sich der Langlauf nicht ohne weiteres zum Bogenschießen hinzufügen lässt. Die Erfinder des flitzebogigen Duathlons waren Italiener, mal abgesehen von den norwegischen Birkebeiners, die, Aufzeichnungen zufolge, schon im 13. Jahrhundert mit Ski und Bogen auf die Pisch gingen. Die Italiener riefen 1983 den Abkömmling des Kleinkaliber-Biathlons ins Leben. Das hieß dann Archery Biathlon, Ski Archery (Engl.: Bogenschießen) oder kurz Ski Arc. Sauter kann sich freilich auch an eine Zeit erinnern, die Siebzigerjahre, als in seiner Heimat, im oberbayrischen Mittenwald, eine Frühform des Zweikampfes abgehalten wurde, zur Gaudi. Es sei noch nie etwas Schlimmes passiert auf der Strecke, versichert Sauter. „Es ist noch kein Blut geflossen, sonst wäre unser Sport schon viel bekannter.“ Das Regelwerk ist einfach. Im Grunde wird nur das Gewehr durch den Bogen ersetzt.
Es gibt Verfolgungsrennen, Staffelwettbewerbe und Sprints. Allerdings wird nur auf vier Scheiben gezielt, nicht auf fünf. „Weil die Pfeile alle vor den Scheiben liegen bleiben, sieht das aus wie nach einem Indianerkrieg“, sagt Sauter. In der Staffel darf nur ein Pfeil als Reserve benutzt werden. Gelaufen wird in der freien Technik, geschossen im stehenden und knienden Anschlag. Benutzt wird gleichfalls eine Klappscheibentechnik.
Seit Jahren dominiert Russland die Szene, derzeit Igor Borisow und Andrej Markow. Hier zu Lande setzen die Brüder Edmund und Bernhard Martin Maßstäbe. Biathleten ohne große Perspektive werden in Russland kurzerhand zu Bogenbiathleten umgeschult. Das Beispiel sollte auch in Deutschland Schule machen, seit der Biathlon-Weltverband IBU die Bogenbiathleten bei sich aufnahm, im Jahr 2001. Doch der Transfer klappte nicht recht. Jan Wüstenfeld, einer, der nicht an die Leistungen eines Ricco Groß oder Frank Luck heranreichte, versuchte es mit dem Bogen. Ihm fehlte jedoch der „Knalleffekt“, wie er sagt. Er ließ es schnell wieder sein. Die IBU hingegen hatte Großes mit Bogenbiathlon vor. Generalsekretär Peter Bayer sagte gar: „Wenn die neue Spielart des Biathlon erst fest etabliert ist, könnte es bereits 2010 um Olympiamedaillen gehen.“ Bayer rühmte einst die Ästhetik der Ski laufenden Bogenschützen. „Archery Biathlon liefert dem Fernsehen hervorragende Bilder, besonders das Schießen im Knien sieht sehr gut aus.“
Mittlerweile wird nicht mehr geschwärmt, die IBU hat vielmehr die Sparte wieder an den Ursprungsverband Fita, den der Bogenschützen, abgestoßen, im Frühjahr 2005. „In der Zeit bei uns hat sich nicht viel getan“, sagte Norbert Baier, Mitglied der technischen Komission der IBU. Außerdem habe sich die Fita habe sich wenig kooperationsbereit gezeigt. „Da hat das Gentlement Agreement gefehlt.“ Von einem Strohfeuer spricht Kathrin Kammler; sie kümmert sich im Deutschen Schützenverband um die Bogenbiathleten. Man müsse nun abwarten, was die Fita draus mache: „Mit dynamischen Sportarten haben die ja eher weniger zu tun.“
Es scheint fast so, als hätte der Bogenbiathlon seine Chance verspielt. Sauter hofft trotzdem auf eine Zusammenarbeit beider Weltverbände, damit es mit dem Sport voran geht. Immerhin werden seit 1998 Weltmeisterschaften und seit 2001 eine Weltcupserie ausgetragen. In diesem Winter wird es Veranstaltungen in Mittenwald (6.–9. Januar), im italienischen Tolmezzoi (2.–6. Februar) und in Moskaus (2.–6. März) geben.
Thorsten Sauter hat sich vor einiger Zeit als Bundestrainer zurückgezogen. „Ich könnte wie ein Satellit durch die Gegend kreisen und Werbung machen.“ Aber er habe keine freie Minute, sagt er. Gut möglich, dass es auch nur vergeudete Zeit wäre.
MARKUS VÖLKER