Der kunstvolle Einsatz der Störgeräusche

EXPERIMENTALPOP Die süddeutsche Band Joasihno erweist sich auf „A Lie“ als Dynamik-Künstler zwischen Glocken, Schlagwerk und Pianomelodiex

Die großen Fragen, die große Posen sind die Sache von Joasihno nicht. Lieber üben sie sich in Zurückhaltung und der Freude am Detail. So überrascht es nicht, dass ihr zweites Album den Titel „A Lie“ trägt. Kein „the“, nicht einfach nur „lie“, sondern „A Lie“, eine Lüge.

Hier will niemand der Welt etwas ins traurige Angesicht schleudern, kein Dreck, kein Schmutz, stattdessen kommt der Angriff höflich und gedämpft: „Are you a lie?“ wird man gleich im ersten, dem Album den Titel gebenden Song gefragt. Man stellt sich zur Stimme ein zynisches Lächeln vor. Schon in Lied Nummer zwei übernimmt die singende Stimme die Antwort: „Oh boy, you’re a lie“. Die Entlarvung hat nicht lange gedauert, dann bin ich eben eine Lüge, will man sagen, hängt noch irgendeinem durch diese sanfte Stimme ausgelösten Gedanken nach – und schon ist man hineingezogen in diesen Kosmos aus Schlagwerk, Glocken, Glöckchen, Gitarren und Pianos.

Es ist ein Universum, das vom charmanten Eigenbrötlertum des Duos aus München und Eichstätt gekennzeichnet ist und das man so auch bei The Notwist findet, mit denen sie auf Tour waren und auf deren Hauslabel Alien Transistor sie veröffentlichen. Musikalisch heben sie sich jedoch von ihren großen Weilheimer Ziehvätern ab.

Ausgetüftelte Dynamik

Bestimmt bei The Notwist die Form des Songs weite Teile des Schaffens, haben sich Joasihno von dieser formalen Vorgabe gelöst. Die einzelnen Tracks von „A Lie“ werden eher vom Spiel mit der Dynamik getragen: einmal laut, einmal leise, wabernd oder scharf akzentuiert, das Klavier sanft oder die Gitarren verzerrt. Oft funktioniert die Stimme dabei als Instrument unter vielen. Wie in „A Lie“: Mehr zufällig verteilte Orgeltöne sind zu Beginn zu hören, dann ergeben sie langsam eine kleine Melodie und werden von einer Gitarre begleitet. Die Bass Drum setzt ein, Gefrickel, es wird opulenter, hymnisch fast, die Stimme setzt ein – „Are you a lie? / covered in my life“ –, dann der Break. Plötzlich wird fast alles wieder zurückgenommen, nur noch ein paar Claps begleiten den Gesang, die Zeile wird wiederholt, die Claps verschwinden, die Orgel und die Bass Drum setzen wieder ein.

Trommeln aller Kontinente

Dieses Spiel wird auf den zehn Tracks des Albums variiert und fortgeführt. Die Zutaten werden dabei immer neu gemischt: eine schiefe, kleine Jahrmarktsmelodie, ein HipHop-Beat, ein wenig Gesang hier und da, Feldaufnahmen und immer wieder Trommeln unterschiedlichster Art. Eine Hälfte des Duos, Cico Beck, der zunächst allein unter dem Namen Joasihno firmierte, sucht diese auf allen Kontinenten zusammen, um sie im Studio wieder zusammenzufügen. Nicht nur dadurch entwickelt der Experimental-Pop von „A Lie“ teilweise DIY-Feeling – um dann freilich wieder in Gefilde zu driften, in denen der Unterschied zwischen elektronisch, akustisch und elektroakustisch verwischt ist.

Die Kunst dieses Albums ist es, Störgeräusche so geschickt zu verteilen, dass sie immer wieder von Melodien aufgefangen werden. Die wiederum werden durch die Störgeräusche davon abgehalten, allzu süßlich und sanft zu wirken. Global Sounds und experimenteller Pop mischen sich, die Band nennt vollmundig Steve Reich, Philip Glass, György Ligeti und Conlon Nancarrow als Einflüsse, mit Minimal und E-Musik – alles eine Frage der Dosierung.

Dass man zu Anfang in „A Lie“ frech nach seiner Existenz als Lüge gefragt wurde, ist schnell vergessen. Dazu sind die Töne, die Beck und Nico Sierig anschlagen, letztlich doch zu versöhnlich. Am Ende laden sie einen sogar ein: Das letzte Lied heißt „In Our House“. ELIAS KREUZMAIR

■ Joasihno: „A Lie“ (Alien Transistor/Morr Music/Indigo)