: „Wer nicht schnell lesen kann, hat es schwer“
Leicht verständliche Wegweiser und Lautsprecheransagen in Bussen sind nicht selbstverständlich. Dabei könnten sie die meisten geistig Behinderten integrieren, sagt Ex-Landesbehindertenbeauftragte Regina Schmidt-Zadel
taz: Rollstuhlfahrer brauchen Rampen, Sehbehinderte tastbare Ampeln. Solche Integrationshilfen bieten inzwischen viele Städte. Was brauchen die mehr als 200.000 Menschen, die mit geistigen Behinderungen in NRW leben?Regina Schmidt-Zadel: Sie brauchen eine ganze Menge Dinge, die es hier leider viel zu selten gibt. Sie brauchen leicht verständliche Schilder, die sie durch Städte leiten. Solche Wegweiser müssen entweder in einfachem Deutsch geschrieben sein oder ihre Nachrichten mit Bildern unterstützen. Auch der öffentliche Nahverkehr hat viele Barrieren – nicht nur für Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Wer nicht gut und schnell lesen kann, hat es oft schwer zu erkennen, ob da gerade der richtige Bus anhält oder an welcher Haltestelle man am besten aussteigt. Stimmansagen sind in Bus und Bahn leider noch immer nicht selbstverständlich. Auch daran, dass der einfachste Behördengang für diese Menschen durch verklausulierte Sprache zur Hürde gemacht wird, muss dringend gearbeitet werden.
Die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am öffentlichen Leben ist ja eigentlich seit 2000 gesetzlich festgeschrieben.Ja und das ist auch ein unglaublich wichtiges politisches Signal der damaligen Bundesregierung. Nur muss dieser Paragraph konkret gefüllt werden, um seine Funktion zu erfüllen. Im Landesbehindertengesetz für NRW steht drin, dass die Kommunen sich bemühen müssen, Barrieren für geistig behinderte Bürger abzubauen. Das ist ja eine sehr vage Vorschrift. Ich wollte das konkretisieren, damit sich auch wirklich etwas tut vor Ort. Leider konnte ich diese Position nicht durchsetzen und jetzt gibt es ein Gesetz, dass neben vielen guten Inhalten diesen Makel hat.
Vielleicht kann ihre Nachfolgerin den ja beheben.Das wäre für NRW zu wünschen. Frau Gemkow rate ich vor allem eines: Sie muss unbequem sein, sonst kann sie gar nichts erreichen. Ich war immer sehr unbequem und habe mir damit auch in der eigenen Partei keine Freunde gemacht. Wenn ich Entscheidungen in der Behindertenpolitik für falsch hielt, bin ich damit in die Öffentlichkeit gegangen – auch wenn es dabei gegen die SPD ging. Was erwarten Sie denn von der schwarz-gelben Behindertenpolitik?Minister Laumann hat ja immer gesagt, dass Behindertenpolitik das Kernstück der Sozialpolitik ist. Daran muss er sich messen lassen. Zur Zeit habe ich allerdings eher das Gefühl, dass die Behindertenpolitik einen Rückschritt macht. Behinderten Heimbewohnern das Weihnachtsgeld zu streichen, ist ein Zeichen von Geringschätzung. Ich habe Sorge, dass die neue Landesregierung den Behindertenbereich stark zusammenkürzt und Integrationserfolge verspielt.
Sie sprechen als bei aller Kritik auch von Erfolgen. Wie gut sind denn Menschen mit geistigen Einschränkungen in Nordrhein-Westfalen integriert?Zunehmend besser. Es gibt immer mehr betreute Wohnformen in NRW, die ein weitestgehend selbstständiges Leben ermöglichen. Vor zwanzig Jahren wäre das unvorstellbar gewesen. Der allergrößte Teil der geistig Behinderten ist in der Lage, mitten in der Gesellschaft zu leben. Nur sind die Weichen gerade für sie oft noch nicht gestellt. Es sind Kleinigkeiten, die viel verändern können. Ein verständlicher Stadtführer ist so ein Schritt.
INTERVIEW: MIRIAM BUNJES