: Die Akademie der Krise
Ein halbes Jahr nach der Einweihung kämpft die Akademie der Künste noch immer mit technischen Problemen im Neubau am Pariser Platz. Ihr Präsident, Adolf Muschg, warf jedoch das Handtuch, weil das Programm der Akademie keinen roten Faden hat
von NINA APIN
„Bitte, meine Damen und Herren, lassen Sie uns doch endlich zur Sache kommen!“ Verzweifelt versucht die Moderatorin, den Bogen zur Aufgabenstellung des Tages zu bekommen. Schließlich hatte man sich in der Akademie der Künste am Hanseatenweg getroffen, um eine Bilanz des Schiller-Jahres zu ziehen. Die gezeigten Spielfilme über Schillers Leben von 1940 und 2004 sollten Anlass geben, sich mit der aktuellen Bedeutung des Weimarer Klassikers auseinander zu setzen. Doch die beiden Professorinnen auf dem Podium und das Publikum pfeifen auf inhaltliche Korsetts. Angeregt diskutieren sie Goebbels‘’Propagandabegriff und verlieren sich in filmischen Details. Am Ende gibt die Moderatorin auf und lässt der akademischen Plauderrunde ihren Lauf. Ein roter Faden lässt sich eben nicht erzwingen. Nachher im Foyerbistro lösen sich alle Grenzen auf: Zu den Schiller-Diskutanten gesellen sich Besucher der parallel laufenden Dada-Ausstellung und Stipendiaten der Jungen Akademie, die im Haus ihre Ateliers haben.
Im Hanseatenweg sitzt er beisammen, der ganze „Gemischtwarenladen“, der den Akademiepräsidenten Adolf Muschg unlängst zum Rücktritt veranlasste. Als „konzeptionslos“ und „provinziell“ beschimpfte Muschg die Institution, die er seit seinem Amtsantritt 2003 zu reformieren versuchte. Es gelang ihm nicht, dem Programm der Akademie einen roten Faden zu geben und die sechs unabhängig agierenden Kunstsektionen stärker zu vernetzen.
Indes wuchs der öffentliche Druck auf die Institution, die 2004 in Trägerschaft des Bundes übernommen wurde. Im neu eingeweihten Standort am Pariser Platz, so die Erwartung, sollte die Akademie Profil zeigen und Impulse zu aktuellen Diskussionen liefern. Doch aus dem Sammelsurium von 240 Veranstaltungen, 30 Ausstellungen, Publikationen und Preisverleihungen wurden im vergangenen Jahr nur wenige Programmpunkte den Erwartungen gerecht. Als es dann auch noch Streit um die Verabschiedung der neuen Satzung gab, warf der Präsident entnervt das Handtuch. Der Gemischtwarenladen hat seinen obersten Krämer verloren.
Im Neubau am Pariser Platz ist man trotzdem guter Dinge. Das Präsidentenzimmer im Obergeschoss ist verwaist, bewacht von Max Liebermanns Selbstporträt, auch er ein früherer Akademiepräsident. Im Foyer tummeln sich Touristen. Die meisten kommen wegen der schönen Aussicht und der verwinkelten Glasarchitektur des Olympiastadion-Architekten Günter Behnisch. Akademiesprecherin Anette Schmitt ist es gewöhnt, Fremdenführerin zu spielen. Der Clubraum unterm Dach werde sehr gern von Gästen gemietet, sagt sie, erst kürzlich habe Frau Christiansen hier eine Sendung moderiert. Das bunte Herbstlaub, das als Folie über die Decke gespannt ist, verweise auf das Durchschnittsalter der Akademiemitglieder, scherzt Schmitt.
Auch Vizepräsident Matthias Flügge, der bis zur Neuwahl die Akademie leitet, versucht Humor zu beweisen. „Gemischtwarenläden sind mir lieber als Fachgeschäfte“, witzelt er. Obwohl er Muschgs Kritik am Programm nicht teilt, will er dessen Reformen weiterführen. „Die Mehrheit unserer 373 Mitglieder weiß, dass Veränderungen nötig sind“, glaubt Flügge. Er will jetzt einen Programmkoordinator einstellen. Dieser soll die Gemeinschaftsarbeit zwischen den Sektionen fördern, aber nicht forcieren. Der Wille zur Zusammenarbeit ist grundsätzlich da: Für die Gemeinschaftsaktion „Raum. Orte der Kunst“ entwickelten alle Sparten Positionen zu einem Thema. Leider verhinderten räumliche Unzulänglichkeiten die geplante Gemeinschaftsausstellung. Ein bitterer Rückschlag, der die Kritik an der Akademie zu bestätigen schien: „Es konnte der Eindruck entstehen, dass wir uns mehr um interne Probleme als um aktuelle Themen kümmerten“, räumt Flügge ein. Einmischung der Akademie ins Tagesgeschehen wie die Mitgliederbefragung zum Abriss des Palastes der Republik blieben die Ausnahme. Den Vorwurf politischer Positionslosigkeit weist Flügge aber zurück: „Die Akademie ist nicht dazu da, gesellschaftliche Krisen zu lösen.“
Das sieht Alice Ströver anders. Die medien- und kulturpolitische Sprecherin der Grünen wirft der Akademie vor, an Bodenhaftung verloren zu haben. Man kreise um sich selbst, ohne Beziehung zur Umgebung, sagt Ströver. „Es ist peinlich, dass die Dresdner Bank mit ihren Atriums-Debatten gesellschaftliche Impulse setzt, während die Akademie schläft.“
Den Vorwurf losgelösten Wurstelns will Sprecherin Schmitt nicht gelten lassen. Sie verweist auf zahlreiche Kooperationen mit den Universitäten, Museen und Theaterhäusern der Stadt. Besonders der Standort Hanseatenweg öffne sich mit der Jungen Akademie verstärkt einem jungen Publikum. In der Tat wird Werner Düttmanns altgedientes Gebäude immer mehr zur experimentellen Spielstätte. Fern vom Repräsentationshype der Neuen Mitte bietet das Haus am Tiergarten eine hervorragende technische Ausstattung und Platz für Sperriges wie die 50 Quadratmeter große Multimediaskulptur „DTO-Emblem, Logo, Befehl“ der Jungstipendiatin Suse Weber. Mit Platz für bis zu 700 Gäste bleibt der Hanseatenweg nach wie vor begehrt. Die Vermietungsmanagerin Ellen Scheyer schätzt, dass von den täglich fünf Vermietungsfragen, die eingehen, 40 Prozent den Hanseatenweg betreffen. „Wichtiger als eine repräsentative Aussicht sind manchmal einfach der Platz und eine funktionierende Ausstellungstechnik“, sagt sie und spielt damit auf die baulichen Unzulänglichkeiten des Neubaus an.
Doch während die Vermietungsmanagerin ihren Kunden zwei Häuser mit unterschiedlichen Qualitäten anbieten kann, müssen ganze Akademieabteilungen wie das Archiv mit den Tücken des Neubaus leben. Das Archiv, mit der bedeutendsten Kunst- und Kultursammlung im deutschen Sprachraum Herzstück der Akademie, sollte am Pariser Platz würdigen Raum erhalten. Doch die Bibliothek mit Lesesaal und Dokumentationszentrum steht ein halbes Jahr nach Einweihung ebenso leer wie die unterirdischen Lager. Zuerst wurde im Keller Schimmel entdeckt, dann ließ ein Fehler in der Klimaanlage die Temperatur in Archiv- und Ausstellungsräumen schwanken. Für den Archivreferenten Hans-Jörg Schirmbeck sind die 18,1 Grad Celsius und 45 Prozent Luftfeuchtigkeit, die das Messgerät im Archiv meldet, richtig gute Nachrichten. Seit einigen Wochen sind die Werte stabil, optimale Lagerbedingungen für die empfindlichen Gemälde, Plakate und Grafiken des Baukunstarchivs. Doch bevor Schirmbecks Chef, Archivdirektor Wolfgang Trautwein, die Bestände herholt, will er auf Nummer sicher gehen. Im Januar liegen die Ergebnisse der Messreihe vor, die feststellen sollen, ob die Räume bezugsfertig sind.
Dass das Archiv überhaupt in den Keller ziehen musste, ist den jahrelangen Querelen um die Fertigstellung des Prestigegebäudes am historischen Ort der Akademie geschuldet: Weil die Baukosten von ursprünglich 38 auf 56 Millionen Euro kletterten, veräußerte der damalige Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) kurzerhand die Rückseite des Baus an das benachbarte Hotel Adlon. Damit ging nicht nur die vom Architekten gewollte Verbindung zwischen Pariser Platz und Holocaust-Mahnmal verloren, sondern auch hochwertiger Lagerraum.
Um Fläche zu gewinnen, wich man auf Tiefbau aus, doch die unterirdische Temperatur ist gerade für empfindliche Dokumente Gift. Da die Kapazitäten des alten Lagers im Tiergarten nicht mehr ausreichen, musste Archivchef Trautwein für seine stetig wachsende Sammlung ein Außenlager anmieten – pro Monat vermehren sich so die Kosten für die katastrophale Fehlplanung um 5.540 Euro. Wer dafür aufkommt, soll ein Beweissicherungsverfahren bis Ende März klären. Bis dahin sind Ausstellungen aus Archivbeständen nur eingeschränkt möglich. Eine für das Frühjahr geplante Bruno-Taut-Ausstellung wurde abgesagt. Für die aktuelle Ausstellung über den Schriftsteller Edgar Hilsenrath ließ Trautwein robuste Lkw-Planen mit Replika der Originalmanuskripte bedrucken.
„Die Improvisation ist für einen reisenden Autor ganz passend“, kommentiert der Archivar trocken. Für dieses Jahr wünscht sich der leidgeprüfte Archivdirektor ein funktionierendes Haus. In anderen Institutionen eine Selbstverständlichkeit, an der Berliner Akademie der Künste aber ein kühner Wunsch. Noch immer ist ungewiss, wann der Multimediaraum im Keller voll für Filme und Konzerte genutzt werden kann. Für die Fertigstellung fehlen 500.000 Euro, die weder der Bund noch das Land Berlin stellen wollen.
Die Grüne Alice Ströver bezeichnet den Streit um den Neubau als „typische Berliner Schildbürgerposse.“ Dass ausgerechnet der Elektonikkonzern Samsung jetzt als Sponsor der Black Box im Gespräch ist, ist in ihren Augen die Krönung einer jahrelangen „Planungsidiotie“. Wie unfertig der Bau noch ist, musste Ströver unlängst bei einem Konzert am eigenen Leib erfahren. „Es zog fürchterlich und die Klimatechnik brummte. Da bekommt man doch ein Katastrophengefühl, wenn man an die Baukosten denkt.“
Die Mitarbeiter des Hauses müssen nicht nur mit einem permanenten Katastrophen-, sondern auch mit einem Hungergefühl leben: Tief in den Eingeweiden des Behnisch-Baus, zwischen Verwaltungstrakt und Archivraum, pustet die Klimaanlage Essensgerüche aus der Küche des Haus-Caterers „Sarah Wiener“ in den Gang. Auch die Besucher dürfen mitriechen: Wenn unten für eine Abendveranstaltung vorgekocht wird, wabern die Küchendüfte auch durch die Ausstellungsräume im Erdgeschoss. Dafür regnet es im „Sarah Wiener“- Bistro gelegentlich durch die Glasdecke. Es ist, als wolle sich das Haus für die baulichen Verstümmelungen und technischen Fehlplanungen rächen, die den glänzenden Architektenentwurf zu einer Hauptstadtfarce machten.
An manchen Abenden aber löst der Pariser Platz 4 sein architektonisches Versprechen ein. Zum Konzertabend mit Liedern der Komponisten Aribert Reimann und Wolfgang Rihm strömt reichlich junges und älteres Publikum. Der Saal passt in seiner Nüchternheit zu den spröden Arrangements, die Helligkeit nimmt den todessehnsüchtigen Verszeilen von Paul Celan die Schwere. Wie in einer Lichtkapsel schauen die Besucher auf die Nacht hinter den Scheiben, aus der als Blickfang das Brandenburger Tor strahlt. Draußen auf dem Pariser Platz leuchtet die gläserne Akademie wie ein aufklärerischer Kontrapunkt zum stumpfen Steinprunk des benachbarten Adlon. Das bunte Herbstlaub an der Decke glitzert einladend.
Spätestens am 23. Januar muss das Haus zeigen, wie viel Gastlichkeit es leisten kann. Dann sollen im Rahmen einer langen Beuys-Nacht sämtliche Etagen vom Keller bis zum Dach mit Diskussionen, Filmen und Dokumenten bespielt werden. Es wird eine Gemeinschaftsproduktion, an der sich, völlig freiwillig, alle Sektionen beteiligen. Vielleicht wird dabei sogar ein roter Faden sichtbar werden.