: Der Jedi-Ritter als Kotti-Retter
Das „Kantomias“-Hörspiel von P. R. Kantate, Paul Plamper und Robert Ohm ist ein Stück Kreuzberger Comic-Fantasy, dessen rappeliger Sprachwitz durchaus zu Kinderzimmerklassikern wie „Hey, hey, Wicki“ oder „Timm Thaler“ passt
P. R. Kantate, den Musiker aus Kreuzberg, kennt man seit seinem Sommerhit 2003 als „Görli, Görli“-Sänger. P. R., die Abkürzung steht für Plattenreiter, schaffte es mit der Coverversion des Songs „Girlie, Girlie“ von Sophia George immerhin auf Platz 39 der Media-Control-Charts. In der Folge trat er bei so ziemlich jedem Stadtfest auf und avancierte zum Liebling der Berliner „Abendschau“. Fast wollte man sich Sorgen um den sympathischen Musiker machen – sollte hier ein neues Berliner Original, ein Icke-Berliner in der Nachfolge von Juhnke und Pfitzmann hochgezüchtet werden?
Aber P. R. Kantate ist nun mal ein geborener Entertainer, der gerne auf der Bühne steht, ob auf dem Stadtfest oder als Schauspieler im Jugendtheater. In dem Hörspiel „Kantomias rettet die Welt“ spricht er nun die Hauptrolle, wird zum berlinernden Superhelden Kantomias – einer Mischung aus Fantomas, Superman, Spiderman und Jedi-Ritter. Seine Comicfigurenstimme ist hoch und gepresst, wirkt dabei niedlich und nervig zugleich.
Die Handlung nimmt in Kreuzberg ihren Lauf. Möwengeschrei und Polizeisirenen am Kotti, besessene Hausmeister, Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund, hilfsbedürftige, leicht tyrannische Omas leben hier, und auch die typischen BVG-Knechte dürfen nicht fehlen. Kantomias’ Kumpels Tom und Rehmi (beide gesprochen von P. R. Kantate) geben derweil eine Kostprobe des Jargons des jungen Berlins: „Ey, Mann, Alter, hau rein, Alter! Wi’s dir so geht, Alter? So sieht det doch ma aus, Alter – du bist echt krass druff, Alta! Find’ isch echt voll cool von dir, Alta, bis’ echt korrekt!“
Die verschiedenen Rollen sind liebevoll inszeniert und eingesprochen, die Geräusche bis hin zu Kantomias’ Superman-Anzug-Reißverschluss hervorragend designt. Auch der Titelsong „Kantomias ist unser Superheld, der sich nur an seine eigenen Regeln hält“ hat alles, was ein Titelsong braucht, und erinnert an sämtliche Serientrailer seit „Hey, hey, Wicki“ und „Timm Thaler“.
Nur in der Handlung geht einiges durcheinander: Ein expandierendes Countrykartell versucht mit aggressiven Teamleitern, viel Yippie!-Euphorie und Heilsversprechen wie Spareribs und Steaks die Welt zu erobern. Gleichzeitig bilden Zahlenkolonnen im Internet ein eigenes Bewusstsein heraus, um sich später als Klonkrüger in Form von dreidimensionalen Spam-Mails ebenso rasant wie hemmungslos auszubreiten. „Wird es Kantomias gelingen, hier mal ordentlich Staub zu saugen?“, fragt der Moderator.
Wohl kaum. Statt dessen ist der Superheld erst mal ewig lange im Internet gefangen; und außerdem bricht der unkontrollierbare zweite Countryhandlungsstrang immer wieder ganz über die Geschichte herein, gehen Realität, Traum und virtuelles Geschehen ineinander über. Da es aber darüber hinaus noch möglichst flott zugehen soll, sind die Übergänge nicht immer schlüssig, der Hörer verliert stellenweise den Überblick. Die Handlung drohte ganz zu zerfasern, wäre da nicht die wahrhaft sonore Moderatorenstimme von Manfred Lehmann, der sonst Bruce Willis synchronisiert. Lehmann und P. R. Kantate halten mit ihren Rollen den Laden am Laufen und mit ihren Stimmen den Hörer bei der Stange.
Die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste wählte „Kantomias rettet die Welt“ zum Hörspiel des Monats September 2004. „Beträchtliche Spielfreude und unorthodoxer Sprachwitz, überzogene, aber sehr präzise beobachtete Sprachstile“ bescheinigte die Akademie dem Hörspiel. Tatsächlich schafft es Autor Robert Ohm denn auch, halbwegs Aktuelles aus Film, Musik und Internet in der Story unterzubringen, das reicht von Afrika Bambaataa und Missy Elliot bis hin zu schwarz runtergeladenen Spiderman-Filmen. So spielt „Kantomias“ gekonnt mit Genres wie Actionfilm, Sozialdrama oder Comic und setzt dem apokalyptischen Weltbild der Superhelden den heiter-verkommenen Kreuzberger Alltag entgegen. CHRISTIANE RÖSINGER
Plamper, P. R. Kantate und Robert Ohm: „Kantomias rettet die Welt – Der Angriff der Klonkrüger“ (der hörverlag)