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Archiv-Artikel

„Baut es auf und reißt es nieder“

Berlin war einmal eine Industriestadt. Geblieben sind davon die Industriegebiete, in einigen wird noch gearbeitet. In Siemensstadt gibt es sogar echte Neuerungen. An einigen Werkstoren werden gerade Namensschilder ausgetauscht. Und Betonfahrer freuen sich über die Fußball-WM. Ein Ortsbesuch

„Nee, nee, ändert sich nichts. Für mich sowieso nicht. Ich bin ab 2007 in Vorruhestand“

VON KIRSTEN KÜPPERS

„Wer nie bei Siemens-Schuckert war, / bei AEG und Borsig, / der kennt des Lebens Jammer nicht, / der hat ihn noch vor sich. / Da bist du nichts, da wirst du nichts, / wenn auch der Magen kluckert, / so ist’s bei Borsig, AEG, / bei Siemens und bei Schuckert.“

(Beliebter Arbeiterspruch um 1920)

Siemensstadt Wohnsiedlung

Als es in Berlin mit der Industrie aufwärts ging, hat die Firma Siemens ihren Arbeitern eine Wohnsiedlung hingestellt. Das Gelände war sumpfig und abgelegen, im Grunde handelte es sich nur um ein paar billige Wiesen irgendwo weit hinter Charlottenburg, am Rande der Spree. Trotzdem konnten am 1. April 1905 die ersten Wohnungen der „Siemensstadt“ bezogen werden.

Die Häuserblocks stehen immer noch. Es gibt ein paar Grünanlagen, dahinter kommen dann gleich die Fabrikhallen. „Damit die Leute pünktlich zur Arbeit erscheinen“, erklärt ein Frührentner, der mit einem Stoffbeutel in der Hand die Hecken entlangläuft und der weiß, wie kapitalistische Methoden funktionieren. Vor vielen Jahren ist er selbst als Angestellter an zwei schmale Zimmer gekommen. Jetzt sieht der Mann aus wie ein verwahrloster Biertrinker. Er deutet in die Richtung der Fabrikschlote und ruft, dass die bei Siemens auch immer mehr Arbeitsplätze abbauen, bei Osram und den anderen hier. „Zu teuer! Geht alles den Bach runter.“

Neben ihm schleicht ein Fahrschulauto die stille Straße entlang. Im Tennisclub „Siemens Blau-Gold“ steht die Köchin hinter gerafften Gardinen und schneidet Gurken. Ein paar Meter weiter wirbt der Beautycoiffeur „Merci“ für Echthaarverlängerung und Maniküre. So ist die Lage. Aber wenn die Menschen in Siemensstadt noch Tennis spielen, Fahrstunden nehmen und sich die Nägel lackieren, kann die Situation so schlimm nicht sein.

Straße

Dem Industriegebiet Siemensstadt mag es schlechter gehen, der wirtschaftliche Zusammenbruch aber ist längst nicht erreicht. Die Produktion geht weiter, vielleicht beschleunigt die Angst vor der Globalisierung auch einfach die Abläufe: Vor fensterlosen Hallen fahren Schranken hoch und runter, Gabelstapler surren von rechts nach links, Lastkräne stapeln Container, eine Digitaluhr hetzt die Sekunden durch, sogar der Verkehr auf der großen Einfallstraße wirkt geschäftig.

Zwischen den Fabrikgebäuden und Schornsteinen internationaler Großunternehmen wie Siemens oder BMW arbeiten Autozulieferbetriebe, Fuhrunternehmen, zwei Tankstellen, ein Arbeitsbühnenverleih, ein Metro-Markt und ein Zirkus.

Menschen sind keine zu sehen, nur Maschinen. Allenfalls im Erdgeschoss des Osram-Werks starren Männer in grauen Pullovern in Computerbildschirme. Manche von ihnen haben noch letzte Reste beleuchteten Weihnachtsschmuck neben ihren Kaffeetassen stehen. Draußen am Eingang neben dem Pförtnerhäuschen ragen mehrere gewaltige Kühlaggregate in die Höhe. Aus einem der Aggregate raucht es stark und unkontrolliert auf die Straße heraus. Das Ganze sieht ziemlich dramatisch aus. Der Pförtner guckt so, als wäre nichts.

E-Werk

Zwei Männer stehen im nassen Gras. Sie montieren ein neues Schild am Zaun des alten Elektrizitätswerks. Auf dem Schild steht „Vattenfall“. Der Pförtner am Eingangstor hebt die Hand zum Gruß wie Winnetou. Er erklärt, dass die Berliner Elektrizitätswerke „Bewag“ seit dem 1. Januar den Namen des schwedischen Mutterkonzerns Vattenfall tragen. „Der Name ist anders, aber sonst ändert sich nichts“, zitiert er den aktuellen Werbeslogan. „Die haben ja schon lange Leute entlassen hier.“

Ein paar Männer laufen an den dunklen Backsteingebäuden vorbei in den Feierabend. Der Pförtner redet weiter: „Nee, nee, – ändert sich nichts. Für mich sowieso nicht. Ich bin ab 2007 in Vorruhestand.“ Am Tor des alten Elektrizitätswerks steht jetzt der Name „Vattenfall“. Und Rock ’n’ Roll bleibt Rock ’n’ Roll.

U-Bahn

Am Industriegebiet fährt eine U-Bahn entlang. Die U-Bahn verbindet Berlin mit Spandau. Die Station „Siemensdamm“ stammt aus einer Zeit, als Architekten es für modern und visionär hielten, Menschen in roten Schalensitzen auf die U-Bahn warten und sie auf verfremdete Grafiken von Schaltkreisen blicken zu lassen. Auch sonst ist das Inventar der Station voller Farben und abgerundeter Formen, wahrscheinlich wollte man den Arbeitern, die hier zur Schicht fahren, damit eine harmonische Sicht auf die Welt schenken.

Das ist lange her. Inzwischen sind die Wände schmutzig geworden. Ein Plakat sagt, das russische Staatsballett komme. Jemand hat an einer Wand mit einem Kugelschreiber die Nachricht „Spandau bumst Arsch“ hinterlassen. Die Rolltreppe quietscht.

Imbiss

Mario Ziese hat rote Flecken im Gesicht wegen dem Dampf und dem Fett, er muss gucken, dass die Bratkartoffeln nicht anbrennen. Früher war Ziese Chef eines eigenen Fleischgroßhandels, jetzt kocht er auf einer Campingherdplatte in seinem Imbiss. Der Imbiss ist eine ziemlich ramponiert aussehenden Bude im Industriegebiet an der Einfahrt eines Bautransportunternehmens. Den ganzen Tag brausen Lkw an der Bude vorbei.

Mario Zieses Kunden sind Menschen, die ihre Tage mit einer Currywurst beginnen, überwiegend Lastwagenfahrer. In der Glasvitrine liegen blasse Würste für sie bereit, „nur deutsche Ware“, meint Ziese, „Ware, wo ick sage, dit würd ick och selber essen.“ Er schmiert Margarine in die Kartoffeln. Im Radio singt Udo Jürgens „Aber bitte mit Sahne!“ Zwei schwere Kerle schnaufen heran und bestellen. „Stress ham se alle“, raunt Ziese, „über zu wenig Arbeit kann keiner klagen.“

Später erzählen die Lkw-Fahrer, dass sie gerade Betonplatten zum Olympiastadion fahren. Dort werde zur Fußballweltmeisterschaft eine Grünfläche asphaltiert für die Fernsehübertragungswagen. Nach der WM solle die Fläche dann wieder begrünt werden. „Baut es auf und reißt es nieder, so habt ihr Arbeit immer wieder“, erklärt einer der Männer kauend das Prinzip.

Mario Ziese nickt und wischt sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Nase, zur WM will er auch einen Fernseher aufstellen, sagt er.