Wenn in Minsk der KGB-Offizier zum dritten Mal klingelt

In Weißrussland lässt Präsident Lukaschenko die Studierenden genau beobachten. Die belorussische Vertreterin der europäischen Studentenunion ESIB bekommt das zu spüren

Er gab sich als jemand von der Universität aus und stellte eine Menge Fragen: „Was ist die internationale Studentenunion für eine Organisation? Wie finanziert sie sich? Welche Haltung hat die Union zu Weißrussland?“ Als Tatsiana Khoma seinen Namen wissen wollte, antwortete er lächelnd: „Tatsiana, wozu brauchst du meinen Namen?“ Die 21-jährige Studentin antwortete ausweichend. Genützt hat es ihr nichts. Tags darauf wurde sie von Rektor Vladimir Nikolaevich Shimov von der Belarusan State Economic University in Minsk exmatrikuliert.

Tatsiana Khoma hat im vierten Jahr International Economic Relations studiert – mit sehr guten Noten. Die offizielle Begründung für ihren Rauswurf: Sie habe sich bei der Leitung der Universität nicht abgemeldet, als sie Anfang November nach Reims in Frankreich fuhr. Was nicht im Bescheid steht, aber der wirkliche Grund für den Rauswurf sein dürfte: Tatsiana wurde in Reims in den Vorstand des europäischen Studierendendachverbandes „ESIB – The National Unions of Students in Europe“ gewählt. Seit zwei Jahren engagiert sie sich bei ESIB für Demokratie und studentische Partizipation, sie beschäftigt sich mit Bildungsreform und Bologna-Prozess. Solcherlei politisches Engagement duldet das weißrussische Regime nicht, schon gar nicht, wenn es auf internationalem Parkett stattfindet.

Seit elf Jahren herrscht Präsident Alexander Lukaschenko in Weißrussland. Das soll nach Meinung des Diktators auch so bleiben, denn im nächsten Jahr stellt er sich wieder zur Wahl. Opposition und kritische Medien hat er in den letzten Jahren systematisch mundtot gemacht. Mit seinem verlängerten Arm, dem Geheimdienst KGB, verbreitet er auch an den Universitäten ein Klima der Angst.

Der KGB arbeitet dort mit so genannten bringing-up departments zusammen. Diese „Erziehungsabteilungen“ sollen die „Jugend vor dem verderblichen Einfluss der Opposition retten“, wie es in einer Anordnung des Bildungsministeriums heißt. Der KGB filmt bei Demonstrationen, bespitzelt regierungskritische Studenten und bricht in Büros von Menschenrechts- und Studentenorganisationen ein. Auffällige Studenten werden zu Gesprächen geladen.

Die Verhörstrategien sind flexibel. Mal wird konkret mit schlechten Noten oder Exmatrikulation gedroht, werden Taschen durchsucht oder schriftliche Erklärungen zu unterstelltem Fehlverhalten eingefordert. Mal wird freundlich übers Wetter geplaudert und beiläufig angeregt, man solle sich doch besser aufs Studium konzentrieren.

„Das ist das Heimtückische an den KGB-Methoden. Es wird nicht offen operiert, es wird gedroht, angedeutet und eingeschüchtert, aber die können auch nett und freundlich sein. Die wissen genau, welche Masche zieht“, sagt Maxim Grouchevoie. Der 27-jährige Politologe hat bis 1997 in Weißrussland gelebt und studiert. Er betreibt die deutschsprachige Website zu Belarus (www.belarusnews.de).

Aber der KGB kann auch härter. Exmatrikulationen, Wohnheimrausschmisse, fingierte Prüfungen und sogar Inhaftierungen gehören zum ganz normalen Wahnsinn an belarussischen Hochschulen. Auch die Herabstufung zum Bezahlstudium ist gängige Praxis. Für gute und regimetreue Studenten ist das Studium kostenlos, unbequeme und schlechte Studenten müssen zahlen. Auch Tatsiana drohen Studiengebühren – falls sie wieder studieren darf.

Damit es erst gar nicht so weit kommt, müssen alle Studenten seit 2003 Ideologievorlesungen besuchen. „Unser Dozent, ein alter Kommunist, lehrt uns beispielsweise, dass Weißrussland die stärkste Ökonomie Europas hat. Und dass Lukaschenko der mächtigste Präsident der Welt ist, sogar mächtiger als der amerikanische“, erzählt Ludmilla Volski (Name geändert), die sich bei der verbotenen Studentenorganisation Belarusan Students Association engagiert.

Am Fall von Tatsiana möchte das Ministerium ein Exempel statuieren, glaubt Maxim Grouchevoie. Die Regierung hat Ende November die Ausreisebestimmungen für Studenten erneut verschärft. Auslandsaufenthalte müssen jetzt vom Bildungsministerium bewilligt werden. Diese neue Regelung tritt allerdings erst in zwei Monaten in Kraft. „Die Exmatrikulation ist eine Warnung für alle, die glauben, das Dekret nicht ernst nehmen zu müssen – auch für die Professoren.“ Das Bildungsministerium hatte den Leiter von Tatsianas Fachbereich gerügt, weil er den pädagogischen Prozess seiner Studentin nicht korrekt beaufsichtigt habe.

Die europäische Studentenvertretung ESIB hat europaweit Unterstützung für Tatsiana mobilisiert. Die europäische Rektorenkonferenz, European University Association, hat die Mitgliedschaft der BSEU suspendiert. Sie fordert, dass Tatsiana ihr Studium wieder aufnehmen kann. Sie selbst hat Beschwerde beim Bildungsministerium eingelegt. Das Ministerium prüft die Eingabe. ASTRID MARXEN