Verfassungsfundis in Stuttgart
: Kommentar von Stefan Reinecke

Ausländer, die Deutsche werden wollen, müssen sich zum Grundgesetz bekennen. Das ist die gültige Praxis – und dafür gibt es gute Gründe. Wer Deutscher werden will, sollte sich an die republikanischen Grundregeln halten, die in der Verfassung fixiert sind. Das mag in Einzelfällen befremdlich wirken, etwa wenn sich ein in Deutschland geborener, vollständig integrierter ausländischer Jugendlicher ausdrücklich zur Verfassung bekennen muss und sein deutscher Mitschüler nicht. Doch im Prinzip ist es richtig, den Pass mit der Anerkennung des Grundgesetzes zu verbinden.

Etwas völlig anderes passiert derzeit in Baden-Württemberg. Dort werden ausschließlich Muslime mit Fragen auf ihre Verfassungstreue getestet. Dies ist nichts anderes als eine Diskriminierung qua Religion – und somit eine Praxis, die jenem Grundgesetz widerspricht, zu dem sich die Prüflinge doch gerade bekennen sollen. Der Fragenkatalog ist eine klassisch konservative Verdrehung. Im Kampf gegen den islamischen Fundamentalismus fundamentalisiert die Union das Grundgesetz. Im Namen der Verfassung wird der Verfassung der liberale Geist ausgetrieben.

So wollen die Behörden wissen, ob der unter den Generalverdacht grundgesetzwidriger Gedanken gestellte Muslim mit Frauen als Chefs klarkommt oder schwule Söhne akzeptiert. Offenbar soll der potenzielle Deutsche einen politisch korrekten Verhaltenskanon anerkennen, der in der baden-württembergischen Provinz doch recht exotisch wirken dürfte. Auch ein Teil der Unionsklientel nimmt Frauen als Chefs nur zähneknirschend hin und hält schwule Söhne für einen Schicksalsschlag.

Das Entscheidende ist: All das geht einen liberalen Staat nichts an. Wer Deutscher werden will, muss kein guter Mensch sein. Dieser Fragebogen ist kein Fauxpas und kein Ausdruck von bloßem Übereifer. Er fügt sich nahtlos in die kraftmeierische Politik der Union ein. Von den elektronischen Fußfesseln, die ein CDU-Minister auf Verdacht Islamisten anlegen will, zu dem Gesinnungstest aus Stuttgart führt ein gerader Weg. Die Union scheint die Muslime als neues Feindbild zu brauchen.