: Steuertricks im Visier
Betrug bei der Umsatzsteuer soll schwieriger werden. Die Bundesregierung stellt Antrag bei der EU-Kommission
BERLIN taz ■ Es geht um immense Summen. Jedes Jahr verliert der Fiskus mindestens 17 Milliarden Euro – durch Umsatzsteuerbetrug. Das hat der Bundesrechnungshof ausgerechnet.
17 Milliarden: Davon ließe sich das gesamte Erziehungsgeld fünfmal bezahlen; es ist dreimal so viel, wie der Bund für Straßen ausgibt. Über diese Aufwendungen spricht jeder, doch das Thema Umsatzsteuer wird nur von wenigen Experten diskutiert. Doch nun erreicht das Thema die EU: Die Bundesregierung will beantragen, die Umsatzsteuer anders zu erheben. Doch ob die EU-Kommission zustimmt, ist fraglich. Sie hat erhebliche Zweifel, ob das neue „Reverse-Charge“-Modell tatsächlich mehr Umsatzsteuern in die Bundeskassen spült.
Die jetzige Umsatzsteuer ist eigentlich ganz einfach – und deshalb leicht zu missbrauchen. Wer Waren verkauft, muss Mehrwertsteuer ans Finanzamt abführen. Gleichzeitig darf er sich aber jenen Anteil an der Mehrwertsteuer anrechnen lassen, der in den Vorprodukten seiner Ware enthalten war. So läuft zwischen Fiskus und Unternehmen ständig ein reger Verrechnungsverkehr. Dieses System hat die Fantasie von kriminellen Banden angeregt: In so genannten „Umsatzsteuer-Karussellen“ werden entweder fiktive Waren hin- und hergeschoben oder reale Waren auf fiktiven Wegen mehrfach durch Europa geschickt. Und jedes Mal wird beim Finanzamt die auf dem Papier anfallende Umsatzsteuer kassiert.
Um diese Tricks zu bekämpfen, haben die Länder 2004 Planspiele gestartet, um die Wirkung verschiedener Steuermodelle zu prüfen. Das sogenannte „Reverse-Charge“-Modell überzeugte am meisten und wird jetzt im EU-Antrag der Bundesregierung gefordert. Das Neue: Nur noch der Endverbraucher soll Mehrwertsteuer zahlen. Zwischen den Unternehmen finden keine Umsatzsteuerzahlungen mehr statt. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Peter Schönberger bewertete das „Reverse-Charge“-Modell positiv: Die Experten rechnen zwar nicht mit einem Steuerplus von 17 Milliarden Euro – aber immerhin mit rund 3,8 Milliarden Euro für den Fiskus.
Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag begrüßt grundsätzlich den „Fokus“ auf dem „Reverse-Charge“-Verfahren. Umsatzsteuerexperte Alexander Neeser: „Wo keine Umsatzsteuer geschuldet wird, lässt sich keine hinterziehen. Diese alte Faustformel kann die Lösung sein.“ Allerdings sind längst nicht alle Steuerschlupflöcher gestopft. Ein Problem: Nicht alle EU-Staaten erheben auf die gleichen Waren auch Mehrwertsteuern. Und schon rentieren sich die Karusselle wieder – etwa beim Kaffee. Am 21. Februar können alle betroffenen Verbände ihre Einwände beim Bundesfinanzministerium vorstellen.
Andererseits befürchtet die EU-Kommission, dass beim „Reverse-Charge“-Modell die schwarz erbrachten Dienstleistungen zunehmen. Problem: Mit dem bisherigen Modell kann für jede Ware nachvollzogen werden, welche Produktionsstufen sie bei welchen Firmen durchlaufen hat. Dies zu überprüfen wird jetzt viel schwieriger, weil nur noch der Endverbraucher die Mehrwertsteuer ans Finanzamt abführt. Die Steuerausfälle könnten somit noch steigen.
Das Bundesfinanzministerium wollte sich gestern nicht zu dem Antrag äußern – man warte die EU-Entscheidung ab.
HEIKE SCHMIDT