ISABEL LOTT WUTBÜRGER : Triebabfuhr am Feierabend
Wer in meinem Supermarkt zügig einkaufen möchte, muss sich durchsetzen. Sobald ich einen Einkaufswagen ergattert habe, starte ich durch. Ich habe eine festgelegte Route, von der ich mich ungern abbringen lasse.
Meine Wohngegend ist mit Einkaufsmöglichkeiten unter- und mit Familien, Touristen und Jugendlichen überversorgt. Vor allem am Abend verstopfen sie meinen Supermarkt. Von der Decke hängen dabei Fotos von sehr entspannten Menschen. Und die Botschaft: „besser, bewusster und einfacher Leben“. Darunter tobt ein Nahkampf.
Die beiden Touristen in der Gemüseabteilung, die unschlüssig im Weg stehen, scheuche ich zur Seite, um schnell ein paar Stangen Lauch abzugreifen. Auf dem Weg zum Milchregal werde ich von Jugendlichen abgedrängt und stecke plötzlich eingekeilt zwischen den Wagen der Regalauffüller. Ich breche aus, parke die Milchtheke zu und suche mir in Ruhe einen Joghurt aus. Das geht nicht lange gut, nachrückende Kunden fordern mich rüde auf, Platz zu machen.
Je näher ich der Kasse komme, desto zielstrebiger werde ich. Meinen Wagen benutze ich inzwischen als Räumfahrzeug und schiebe schreiende Kinder aus meiner Bahn. Von mehreren Packungen Tellerlinsen, die aus dem Regal gefallen sind, lasse ich mich nicht aufhalten, ich fahre einfach drüber. Dabei schneide ich einem älteren Mann noch schnell den Weg ab, damit ich vor ihm in der Schlange lande. Der kuschelt sich zum Dank ganz eng an mich. Wahrscheinlich will er sich so das subjektive Gefühl verschaffen, es gehe dann schneller vorwärts. Ich blaffe ihn an, dass ich auf diese Form der Intimität gerne verzichten würde. Er keift zurück, ob ich schon mal in den Spiegel geschaut hätte.
Endlich bin ich an der Reihe, die Frau an der Kasse ist übermotiviert und zerrt meine zarten Lauchstangen viel zu schnell über den Scanner. Egal, ich bin durch und werfe einen triumphierenden Blick auf die Warteschlange.
Der Abend im Supermarkt ist wie eine Schlacht. Wir fallen, gestresst von der Arbeit, wie Berserker in die Supermarktfilialen ein, um uns abzureagieren, bevor es nach Hause geht. Toll. Ich komme morgen wieder.
■ Hier wüten abwechselnd Isabel Lott und Kai Schächtele