Kein Kniefall in Bosnien

SERBIEN Präsident Tomislav Nikolic äußert sich zum Massaker von Srebrenica. Doch eine Entschuldigung hört sich anders an

BELGRAD taz | Als Willy Brandt im Dezember 1970 vor dem Ehrenmal der Helden des Ghettos in Warschau auf die Knie sank, war das eine Demutsgeste, die die europäische Politik veränderte. Die „Entschuldigung“ des serbischen Präsidenten Tomislav Nikolic für im Bosnienkrieg begangene Verbrechen, die am Donnerstag die Runde machte, war das ganz sicher nicht.

Ausgelöst hatten den Medientrubel Auszüge aus einem Interview des serbischen Staatschefs für den bosnischen TV-Sender BHT, das erst am 7. Mai in voller Länge ausgestrahlt werden soll. Darin leugnete Nikolic zunächst abermals, dass die Tötung von rund 8.000 Muslimen 1995 im bosnischen Städtchen Srebrenica ein Genozid gewesen sei, obwohl der Internationale Gerichtshof 2007 das Massaker als Völkermord bezeichnet hatte. Das müsse erst „nachgewiesen“ werden, sagte Nikolic und meinte, alle Kriegsgeschehen im ehemaligen Jugoslawien hätten Merkmale eines „Genozids“. Erst als die Journalisten auf der besonderen Ungeheuerlichkeit des Verbrechens in Srebrenica bestanden, kam die Entschuldigung: „Deshalb knie ich ja. Dann knie ich eben. Und ich bitte um Gnade für Serbien wegen des in Srebrenica begangenen Verbrechens. Und ich entschuldige mich für alle Verbrechen, die im Namen unseres Staates und unseres Volkes Einzelpersonen begangen haben.“

Der Applaus kam sofort, und zwar aus Brüssel. Auch das Mitglied des bosnischen Präsidiums, Zeljko Komsic, begrüßte Nikolic Entschuldigung. „Diese Aussage könnte zur Beruhigung der Spannungen und zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Bosnien und Serbien beitragen.“ Komsic hatte es erst vor wenigen Tagen abgelehnt, sich in Belgrad mit Nikolic wegen dessen unangemessener Aussagen zu treffen.

Kritiker meinen jedoch, dass Nikolic’ Entschuldigung lediglich eine politisch korrekte Phrase sei angesichts der Entscheidung der Staats- und Regierungschefs der EU über den Termin der serbischen Beitrittverhandlungen am 28. Juni. Denn Nikolic distanzierte sich nicht von seinem früheren Relativierung des Völkermords in Srebrenica. Auch kündigte er keine Maßnahmen in Serbien gegen „Mitglieder des serbischen Volkes“, die Kriegsverbrechen begangen haben an, geschweige denn eine Aufarbeitung der Geschichte.

Seine „Entschuldigung“ bei den Bosniaken kam in Serbien nicht wie eine moralische Kehrtwendung oder Demutsgeste an. Nikolic hatte auch früher, als er ein oppositioneller Ultranationalist war, alle Kriegsverbrechen verurteilt. Heute, als proeuropäischer Politiker, hat er das Gleiche getan – und sich nebenbei entschuldigt, nach dem Vorbild seines Vorgängers Boris Tadic. Und nachdem sich die Präsidenten Kroatiens und Montenegros für die Verbrechen ihrer Völker entschuldigt haben. ANDREJ IVANJI