Persilschein löst sich auf

Gutachten zur Feuerbergstraße weist auf zehn Rechtsbrüche hin. GAL-Politikerin Christiane Blömeke fordert Rücktritt der Sozialsenatorin

Die Entwürdigung findet auch statt, wenn sie öffentlich nicht zu sehen ist

Von Kaija Kutter

Zwei Tage vor Heiligabend hatte Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) das Gutachten des Jugendrechtsexperten Christian Bernzen zur Geschlossenen Unterbringung Feuerbergstraße (GUF) vorgestellt. Die GAL-Politikerin Christiane Blömeke nutzte die Weihnachtszeit zur Lektüre des 230-Seiten-Werks und zählte zehn Rechtsverstöße, auf die Bernzen hinweist. „Das Gutachten ist keinesfalls ein Persilschein für die Senatorin“, folgerte die Grüne gestern und forderte deren Rücktritt.

So weise Bernzen darauf hin, dass Einsperren in der Jugendhilfe nur erlaubt ist, wenn vorher für die Kinder ein „Hilfeplan“ mit Zielen erstellt wurde. Doch dies fände erst statt, wenn die Jungen im Heim sind und es zu spät ist, Alternativen zu prüfen. Bernzen nennt dies „rechtswidrig“ und fordert, die Perspektivplanung unter Beteiligung der Jugendlichen schon bei der „Inaussichtnahme“ der Heimeinweisung vorzunehmen. Für die Senatorin ist das undenkbar: „Keineswegs“, so heißt es in ihrem Statement, „haben Minderjährige das Recht, den Hilfebedarf selbst zu bestimmen.“

Es gebe weitere Rechtsverstöße, die Schnieber-Jastram „verharmlost und verschleiert“, so Blömeke. Dazu zählt das Fesseln der Jungen außerhalb des Heims mit Klettbändern. Bernzen hatte dies als „entwürdigend“ abgelehnt. Schnieber-Jastram teilte diese Einschätzung, erklärte aber, es werde ja vermieden, dass „gefesselte Jugendliche öffentlich gesehen werden“. Blömeke findet das zynisch: „Die Entwürdigung findet auch dann statt.“

Ebenfalls illegal seien 13 Fälle von „Inobhutnahmen“, in denen Jungen ohne richterlichen Beschluss 24 Stunden eingesperrt wurden. Dies darf laut Bernzen nur bei echter Gefahr für Leib und Leben passieren und nicht etwa, wie es in einer Akte heißt, wegen eines Einbruchs.

Aus dem Gutachten geht weiter hervor, dass eine Gruppe psychisch stark belasteter Jugendlicher isoliert in „Gruppe 1“ der GUF gehalten wird, obwohl der Aufenthalt im Heim nicht hilft. Laut Bernzen gehören diese Jungs „entlassen“. Schnieber-Jastram versprach für diese Gruppe ein Konzept, womit aber – das lassen die im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) bekannt gewordenen Pläne befürchten – just eine offizielle „Gruppe 1“ gemeint sein könnte. Laut Blömeke sind hier dringend echte Alternativen nötig: „Und sei es die ambulante Betreuung rund um die Uhr.“

Blömekes 10-Punkte-Liste enthält auch Bekanntes, wie beispielsweise die illegalen Aidstests, den Bruch des Postgeheimnisses und das Verbot für die Minderjährigen, mit ihren Eltern zu telefonieren. Hier hatte Schnieber-Jastram Änderungen versprochen. Von der Senatorin weder erwähnt noch abgestellt wurde aber die laut Bernzen rechtswidrige Praxis, Kinder in die GUF nur einzuweisen, um ein psychiatrisches Gutachten zu erstellen. Blömeke: „Das wäre Sache der Psychiatrie.“

Die Behördenchefin hatte ferner gejubelt, Bernzen habe am Einsatz des Wachdienstes Securitas „nichts zu beanstanden“. Hier freute sie sich laut Blömeke zu früh. Bernzen habe gar nicht den Auftrag gehabt, dies zu prüfen. In den PUA-Akten fänden sich neue Hinweise, wonach Wachmänner Jugendliche allein betreuen, was rechtswidrig sei. Blömeke zeigte sich hier enttäuscht vom Gutachter: „Für die 150.000 Euro Honorar hätte ich mehr erwartet.“

Ebenfalls nicht richtig geprüft sei die derzeit auch in Karlsruhe anhängige Frage, ob ein Heim, das Kinder zum Schutz des Kindeswohls einsperrt, verfassungsgemäß handelt. Bernzen hat dazu lediglich ausgeführt, „juristisch ist dies bestimmt“, dann aber lediglich Positionen abgewogen. Blömeke wirft dem Gutachter hier mangelnde Sorgfalt vor. Bernzen selbst wollte sich gestern zum Gutachten nicht mehr äußern.