: Die Kuba-Connection
Eine Doku wendet sich gegen die These, Lee Harvey Oswald sei ein CIA-Gehilfe gewesen
VON BERND PICKERT
Es gehört Mut dazu, sich als seriöser Dokumentarist an so ein Thema zu wagen. Der Mord an US-Präsident John F. Kennedy am 22. November 1963 in Dallas führt seit über 40 Jahren zu Spekulationen – und hat mehrere Untersuchungskommissionen des US-Kongresses, ungezählte Bücher und einen erfolgreichen Hollywood-Film angeregt. Tendenz: Rätsel ungelöst.
Jetzt behauptet der deutsche Dokumentarfilmer Wilfried Huismann, die Hintergründe des Attentats geklärt zu haben. In seinem eineinhalbstündigen Film „Rendezvous mit dem Tod – Kennedy und Castro“, der heute um 21.45 in der ARD ausgestrahlt wird, stellt er anhand neuer Zeugenaussagen und einiger Dokumente die These auf, der kubanische Geheimdienst habe den Kennedy-Mörder Lee Harvey Oswald rund ein Jahr vor dem Mord kontaktiert und schließlich zum Mord an Kennedy benutzt.
Kennedys Nachfolger, Lyndon B. Johnson, Justizminister Robert Kennedy und FBI-Chef Edgar Hoover hätten sehr schnell über die Kuba-Verbindungen Bescheid gewusst oder sie zumindest geahnt – weil diese Aufdeckung aber fast unweigerlich zum womöglich atomar geführten Krieg geführt hätte, wurden die Ermittlungen abgebrochen und die Spuren vertuscht. Durch Zufall war Huismann darauf gestoßen, dass die Frage, was Oswald rund acht Wochen vor dem Mord bei einem sechstägigen Aufenthalt in Mexiko gemacht hatte, von niemandem beantwortet worden war. Diese Lücke wollte er füllen.
Huismann findet den ehemaligen FBI-Ermittler Laurence Keenan. Der war damals im Fall Oswald nach Mexiko-Stadt gereist. Im Film erzählt er eindrücklich, wie er nach drei Tagen von Hoover und Johnson persönlich zurückbeordert wurde, ohne irgendetwas ermittelt zu haben. 40 Jahre später fährt Keenan mit Huismann erneut nach Mexiko-Stadt. Als erster Rechercheur erhält er Zugang zur Akte „Oswaldo-Kennedy“ in den Archiven des mexikanischen Geheimdienstes DFS – zu 30 von rund 4.000 Seiten.
Schon aus denen aber geht hervor, dass Oswald Ende September 1963 in Mexiko-Stadt Kontakt zum kubanischen Geheimdienst G-2 hatte, von dem er 6.500 US-Dollar und den Auftrag zum Mord an John F. Kennedy erhielt.
Zentrale Figur des kubanischen Geheimdienstes: ein rothaariger Schwarzer mit Decknamen „Carlos“. Von dem gibt es auch ein Foto im Geheimdienstarchiv. Doch es wird nicht veröffentlicht. Ob es „Carlos“ noch gibt, kann Huismann nicht herausfinden, aber der Mann mit der ungewöhnlichen Physiognomie taucht in unterschiedlichen Zeugenaussagen immer wieder auf.
Huismann trifft Helena Garro de Paz, Tochter des mexikanischen Literaturnobelpreisträgers Octavio Paz. Sie erinnert sich, Oswald seinerzeit auf einer Party mexikanischer Kommunisten getroffen zu haben – in Begleitung einer kubanischen Botschaftsangehörigen. Die Frau könnte Auskunft geben, weist Huismann aber am Telefon brüsk ab.
Huismann rekapituliert die politische Situation: Nach gescheiterter Schweinebucht-Intervention und Kuba-Krise setzt insbesondere Robert Kennedy, der Justizminister und jüngere Bruder des Präsidenten, auf die Ermordung Castros. Alexander Haig, in den Achtzigerjahren US-Verteidigungsminister unter Ronald Reagan und damals Mitorganisator des schmutzigen Krieges gegen Kuba, berichtet von acht Mordplänen gegen Castro.
Huismann findet in Spanien Rolando Cubela. Der ehemalige Revolutionskommandant, 1963 als Abtrünniger mit dem Mord an Castro beauftragt, hat mit Robert Kennedy persönlich Kontakt. Doch Cubela ist in Wahrheit Doppelagent und warnt daher Castro.
„Kennedy wollte Castro loswerden, aber Castro war schneller“, so Haig. Mehrmals, erinnert sich Haig, warnte Castro, das Spiel müsse aufhören, zuletzt quasi öffentlich über den damaligen AP-Journalisten Daniel Harkner, dem Castro sagt: „Wenn die Kennedys mir nach dem Leben trachten, dann …“
Aber all das wären nicht mehr als Indizien, die diese wenig verfolgte, aber immer präsente Theorie der Kennedy-Mord-Recherche ein wenig stärken würden. Huismanns wirklicher Trumpf ist Oscar Marino, 1963 hoher Offizier des kubanischen Geheimdienstes. Er bestätigt vor laufender Kamera, seinerzeit in die Mordpläne eingeweiht gewesen zu sein. Oswald, so Marino, war nicht der Beste für diese Aufgabe. Aber er war der Einzige, der zur Verfügung stand. „Er hat sich angeboten, Kennedy zu ermorden – und wir haben ihn benutzt“, sagt Marino, der heute in Mexiko-Stadt lebt.
Im KGB-Archiv findet ein Informant Huismanns ein Telegramm, dass der sowjetische Geheimdienst 1962 nach Kuba schickte. Die Kubaner, so die Kollegen, sollten Oswald im Blick behalten, der gerade gemeinsam mit seiner russischen Ehefrau aus der Sowjetunion in die USA zurückreiste.
Seit Ende 1962, bezeugt der kubanische Exagent Antulio Ramirez und beruft sich auf sein Tagebuch von damals, sei Oswald dann von den Kubanern als Agent geführt worden.
Huismanns Recherche ist dicht, sie ist plausibel und bleibt in sich logisch. Viel mehr kann ein Dokumentarfilm nicht leisten. Ganz sicher wird der Film nicht das letzte Wort zum Thema Kennedy-Mord sein. Aber seine These zu widerlegen dürfte nicht ganz einfach sein. Trotzdem werden es viele versuchen – allein schon, weil man das ungeklärte Rätsel vom Dealay Plaza in Dallas irgendwie lieb gewonnen hat.