piwik no script img

Archiv-Artikel

NORWEGEN KOPPELT SICH VON DER ANTI-TERROR-POLITIK DER EU AB Rechtssicherheit statt Europa

Norwegens demonstrativer Schritt, seine bisherige Bindung an die EU-Terrorliste aufzukündigen, kann gar nicht hoch genug bewertet werden. In den letzten vier Jahren hatte man die Liste ohne Wenn und Aber als ähnlich verbindlich wie ein vom eigenen Parlament erlassenes Gesetz akzeptiert. Die Justiz war verpflichtet, aktiv zu werden, sollte ein Mitglied einer von der EU benannten Organisation einreisen. Hier hätte es jederzeit zu peinlichen Situationen kommen können – etwa im Hinblick auf die Friedensmakler-Rolle Oslos in Sri Lanka und bei den Gesprächen zwischen der kolumbianischen Regierung und den linken ELN-Rebellen. Doch das ist nicht der einzige Grund für Oslos plötzliches Umdenken.

Auch die zwischen den Zeilen herauszulesende Klage, an eine Liste gebunden gewesen zu sein, auf deren Zusammensetzung man keinen Einfluss hatte, kann nicht die ganze Wahrheit sein: Schließlich will sich Norwegen in Zukunft an die UN-Terrorliste binden, und die ist nahezu deckungsgleich – auch wenn die EU in der Vergangenheit zumindest zum Teil eine eigenständige Linie verfolgte. In Wirklichkeit will sich Oslo deutlich von der Antiterrorpolitik der Europäischen Union abkoppeln, deren ganze Richtung der neuen rot-grünen Regierung nicht passt; und beim Stichwort Rechtssicherheit auch von einer EU-Justiz, an deren Rechtsprechung man ohne den jetzigen Schritt weiterhin gebunden gewesen wäre. Zuletzt Aufsehen erregt hatte in Oslo ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, in welchem dieser die Aufhebung von Sanktionen gegen einen Somalischweden mit der Begründung abgelehnt hatte, die EU-Terrorliste sei gegen gerichtliche Überprüfung immun. Zwar gibt es gegen die UN-Liste gar keinen gerichtlichen Rechtsschutz. Von der Möglichkeit politischer Einflussnahme über Vollversammlung und Sicherheitsrat scheint Norwegen sich aber mehr Rechtssicherheit zu versprechen als von Brüssel und einer EU-Justiz, die Willkür absegnet, anstatt ihren Job zu machen. Selten ist der EU und dem Europäischem Gerichtshof ein solches Armutszeugnis ausgestellt worden. REINHARD WOLFF