piwik no script img

Archiv-Artikel

Wenig Hoffnung für Entführte

In einem Kommuniqué lehnt die kolumbianische Farc-Guerilla einen humanitären Gefangenenaustausch mit Präsident Uribe ab. Der setzt im Wahljahr auf Härte

PORTO ALEGRE taz ■ Zu Jahresbeginn hat sich die Tonlage zwischen Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe und den Guerilleros der „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (Farc) erneut verschärft. „Mit Uribe wird es keinen humanitären Austausch geben“, ist das Kommuniqué überschrieben, das die Farc am Montag auf ihre Webseite stellten. „Sie sind nicht nur Diebe, sondern auch Narren, nicht nur Entführer, sondern auch Krakeeler“, gab Uribe tags darauf zurück.

Leidtragende sind jene 56 entführten kolumbianischen PolitikerInnen, Soldaten und Polizisten, die für einen Gefangenenaustausch in Frage kommen. Prominenteste Geisel ist die frühere Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt (44). Hinzu kommen drei US-Söldner, die sich seit drei Jahren in der Gewalt der Farc befinden.

Dem Präsidenten fehle der „politische Wille“ zum Austausch, aber auch für eine „Lösung des Konflikts“ auf der Basis von Reformen zu Gunsten der Bevölkerungsmehrheit, schreiben die Rebellen. Weil er mit dem Thema Wahlkampf betreiben wolle, habe er eine diplomatische Initiative Frankreichs, Spaniens und der Schweiz „in den Abgrund gestoßen“. Ende Mai will Uribe für weitere vier Jahre wiedergewählt werden.

Vor drei Wochen hatte er verkündet, er gehe auf den Vorschlag der Europäer ein, für den Gefangenenaustausch ein 180 Quadratkilometer großes Gebiet in Südwestkolumbien zu räumen – die Farc fordern 785 Quadratkilometer. Doch offenbar war das „Zugeständnis“ nur Show. „Alles sprach dafür, zu schweigen und das Thema mit Vorsicht anzugehen“, hält Betancourts Ehemann Juan Carlos Lecompte jetzt dem Staatschef vor. Außerdem macht er ihn für die Gerüchte verantwortlich, die kolumbianische Medien in den Weihnachtstagen über eine angeblich positive Antwort der Farc verbreiteten.

„Diskretion ist vielleicht das Wichtigste bei Entführungen“, findet auch der französische Außenminister Philippe Douste-Blazy, der deswegen „in den kommenden Wochen“ nach Kolumbien reisen will. In Frankreich ist der öffentliche Druck für eine Freilassung Betancourts unvermindert groß. Vorgestern erinnerte Präsident Jacques Chirac erneut an die Politikerin.

Die Angehörigen der „Austauschbaren“ setzen nun all ihre Hoffnungen auf die internationale Vermittlung, zumal die Farc die „guten Dienste“ Frankreichs, Spaniens und der Schweiz explizit würdigten. Der unabhängige Experte León Valencia hält den Vorschlag der Europäer für geeignet, das Misstrauen auf beiden Seiten abzubauen. Dies zeige auch die Bereitschaft der Guerilla, sich noch im Januar mit den Diplomaten zu treffen.

Doch eine rasche Lösung bleibt im Wahljahr unwahrscheinlich. Während Uribe auf dass kleinere „Heer zur nationalen Befreiung“ (ELN) zugegangen ist, gibt er sich gegenüber den Farc unversöhnlich wie eh und je. Wie schon 2002 will er mit seinem harten Kurs punkten.

Umgekehrt fürchten die Rebellen, ein „humanitäres Abkommen“ zum jetzigen Zeitpunkt nütze vor allem dem Staatschef. „Es ist ein politisches Tauziehen“, sagt auch der Sicherheitsexperte Alfredo Rangel. Jede Seite warte den günstigsten Moment ab. Außerdem müssten zwei Parallelverhandlungen stattfinden – die drei US-Amerikaner, die bei der Besprühung von Kokafeldern im Einsatz waren, seien das wichtigste Faustpfand für zwei führende Guerilleros, die Uribe vor Jahresfrist an Washington auslieferte.

Das Drama um Betancourt und die „Austauschbaren“ ist nur der sichtbarste Teil eines grausamen Geschäfts. Denn entführt wird in Kolumbien vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen – durch die Aufständischen, aber vor allem durch rein kriminelle Banden. In der Gewalt der Farc befänden sich derzeit über 1.100 Menschen, vermeldet die Stiftung „Freies Land“, die Zahl sämtlicher Verschleppter sei aber fünfmal so hoch.

Der Krieg geht indes unvermindert weiter: Letzte Woche gerieten 29 Soldaten in einen Hinterhalt der Farc. An der Grenze zu Ecuador sprengt die Guerilla Pipelines und Hochspannungsleitungen – derzeit müssen dort 250.000 Menschen ohne Strom auskommen. GERHARD DILGER