: „Gute Feinde rasten aus“
POLITMAGAZINE Die „Panorama“-Moderatorin Anja Reschke über Biotomaten, Überfallkameras – und warum man beim NDR in Hamburg Franz Josef Strauß vermisst
■ Die Moderatorin: Anja Reschke, 37, moderiert das ARD-Magazin „Panorama“. Zudem arbeitet sie als Reporterin („Die Kohl-Rolle“) und führt durchs NDR-Medienmagazin „Zapp“. Die gebürtige Münchnerin lebt in Hamburg.
■ Das Magazin: Seit 1961 enthüllt „Panorama“ – nach dem Vorbild der gleichnamigen BBC-Sendung. Früher wütete regelmäßig die CSU über „Panorama“, die CDU stellte gleich den ganzen NDR in Frage. Heute ist es ruhiger, das älteste deutsche Politmagazin behauptet sich aber mit drei Millionen Zuschauern. Es läuft donnerstags um 21.45 Uhr im Wechsel mit „Monitor“ und „Kontraste“.
■ Die neue Variante: Seit vergangenem Jahr probiert der NDR ein neues Format namens „Panorama – Die Reporter“ aus. Ein 30-Minuten-Film dreht sich jeweils um ein Thema, der Reporter oder die Reporterin wird beim Recherchieren gezeigt. Zu drei Filmen hat die Redaktion noch einmal nachgehakt, das Ergebnis ist nächsten Mittwoch zu sehen (NDR, 22.30 Uhr).
INTERVIEW GEORG LÖWISCH
taz: Frau Reschke, Sie haben mal geschrieben, ein guter Politmagazin-Beitrag brauche eine These und einen Feind. Wie muss so ein Feind beschaffen sein?
Anja Reschke: Feind ist vielleicht ein bisschen flapsig formuliert. Es geht ja nicht um persönliche Fehden. „Panorama“ deckt Missstände auf. Und es gibt immer eine Gegenseite, die für diese Missstände verantwortlich ist. Die konfrontieren wir dann mit unseren Recherchen. Es ist ja nicht mehr so wie früher, als „Panorama“ und Franz Josef Strauß sozusagen natürliche Gegner waren. Es geht um Themen und daraus ergibt sich die Gegenseite.
Welche Feinde haben Sie lieber, kluge oder dumme?
Du überlegst dir eine Strategie. Es ist Fernsehen und da sollte die Gegenseite schon blankziehen. Oft versucht sie ja, ihre Motive zu verbergen. Man arbeitet darauf hin, dass man den einen O-Ton bekommt, gegen den man dann den Gegenbeweis schneiden kann. Er lügt. Oder er rastet aus.
Wie kommt der Feind am besten weg?
Es gewinnt, wer sich stellt und ruhig bleibt. Günther Beckstein hat als bayerischer Innenminister viele Dinge vertreten, gegen die „Panorama“ Sturm lief. Aber er hat uns immer ein Interview gegeben – und sah so meist gut aus.
Oft läuft es anders: Die Politiker verweigern sich den Politmagazinen und reden lieber mit ihren Hofkorrespondenten.
Das ist ein Problem. Einen Bericht über geschönte Arbeitslosenzahlen kann man ohne Arbeitsminister nicht machen. Aber der weigert sich – also muss man irgendwo hinfahren, wo man ihn kriegen kann.
Überfallkamera?
Spontaninterview. Wir stellen einfach Fragen, die der Politiker aus dem Stegreif beantworten kann. Frau Merkel wird ja wohl was zu Atomenergie sagen können, auch wenn sie bei einer Veranstaltung der Frauenunion ist.
Werden die Feinde gewitzter?
Die meisten sprechen glatt. Einige packen zwei Argumente in eine Antwort oder bleiben mit der Stimme oben. Das ist dann sehr schwierig zu schneiden. Ich nehme an, sie lernen das so von ihren Beratern.
„Panaroma“ hat jetzt eine Schwestersendung: Bei „Panorama – Die Reporter“ schaut man den Journalisten beim Recherchieren zu. Gilt da auch das Feindkonzept?
Fast jede Geschichte hat folgendes Konzept: Eine Hauptfigur bekommt eine Herausforderung, die sie möglichst löst. Oder an der sie scheitert. Die Herausforderung sind Personen oder Institutionen – so ist man immer bei der Gegenseite.
Nur dass bei „Panorama – Die Reporter“ der Journalist als Hauptfigur gezeigt wird?
Genau. Der Reporter muss etwas herauskriegen, er scheitert an einer Stelle und an der nächsten kommt er weiter.
Sie haben selbst so einen Reporter-Film gemacht: über die Bio branche. Wer war der Feind?
Anfangs war der Feind – also das Objekt der kritischen Berichterstattung – der Biokunde. Weil der sich in einer absurden Romantik verstrickt hat. Dass alle Probleme des Klimas und der Globalisierung gelöst sind, wenn ich eine Biotomate kaufe.
Hoppla. Früher war’s Franz Josef Strauß, und nun ist der Verbraucher der Feind?
Dinge, die grundsätzlich als gut belegt sind, zu hinterfragen, finde ich spannend. Später war die Gegenseite in meinem Film aber eher die Bioverbände. Die haben während der Recherche extrem gemauert.
Ihr Film müsste doch alte Politmagazin-Hasen empört haben. Zuerst haben Sie eine nett aussehende Frau vom Bundesinstitut für Risikoforschung sagen lassen, Obst zu spritzen sei nicht so das Problem. Und danach angeprangert, dass Bioäpfel mit Kupfer gespritzt werden.
Okay. Da haben sie den Knackpunkt im Aufbau des Films erwischt, über den wir lange gestritten haben. Es sind eigentlich zwei unterschiedliche Sachverhalte. Bei den klassischen Pestiziden ging es um die Frage, ob es wirklich so viele Rückstände auf konventionellem Obst und Gemüse gibt und ob diese dann so gefährlich für die Gesundheit sind, wie behauptet wird. Beim Kupfer, das ja ebenfalls ein Pestizid ist, ging es darum, ob es den Boden schädigt. Da passt es wieder: Das größte Bio-Argument für die Kunden ist ja, dass Obst auf keinen Fall gespritzt sein darf. Da finde ich das mit dem Kupfer den größten Witz.
Sie hatten keinen, der in die Kamera sagt, dass, und wenn ja, in welchen Mengen Kupfer die Natur schädigt. Damit wären Sie im klassischen Politmagazin nie durchgekommen.
Für die Fassung in „Panorama“ hatten wir genau so einen O-Ton. Vom Umweltbundesamt. Im Reporter-Format, das stärker in Episoden erzählt, hatten wir zwei Bauern, die bestätigen, dass Kupfer den Boden schädigt. Ist doch stark, wenn die Betroffenen es selbst erzählen.
Mit wie viel Leuten rücken Sie denn für das neue Format aus?
Zwei Kameraleute, eine Tonfrau, ein Reporter und ein Autor, der auch Regie macht. Fünf Leute.
Verschärft das nicht das Problem, dass Sie sich im Büro ein Drehbuch zusammenrecherchieren und draußen mehr abdrehen als recherchieren?
Recherchieren muss man ja immer vorher. Aber klar, wenn ich nicht nur in Hamburg und Umgebung drehen möchte, muss ich natürlich ziemlich vorgeplant haben. Was wäre denn, wenn man nach Chile fährt und trifft dann Margot Honecker nicht? Das ist viel schwieriger als bei „Panorama“, wo man nur mit einer Kamera loszieht. Aber die Kunst ist halt, vor Ort dann doch auf die Gegebenheiten einzugehen und notfalls ein Konzept über Bord zu schmeißen. Das ist bei meinem Biofilm ja passiert.
Im klassischen „Panorama“ sind Sie die Moderatorin. Dabei brechen Sie mit der Politmagazin-Tradition, vor und nach Beiträgen noch mal für Doofe zu buchstabieren, was die Botschaft ist. Warum?
Ich möchte den Leuten nicht erklären, was sie meinen müssen. Nicht: Schlimm, schlimm, schlimm. Schaut euch das ja an! Sonst seid ihr mitschuldig! Sondern: Hey, wir sind hier auf ein Problem gestoßen. Kommt euch vielleicht etwas weit weg vor, aber seht euch das mal an: Das ist wirklich ein Skandal.
Kommen wir noch mal zu den Feinden. Ist Roland Koch der Top-Feind des investigativen Fernsehens, seit er ZDF-Chefredakteur Brender abgesägt hat?
In der Geschichte stimmte alles. Der Feind Koch, der von allen Journalisten gemochte Nikolaus Brender, und alle empörten sich. Das Problem war: Die Kritik hat nichts geändert. Ernüchternd.
Erleben Sie beim NDR Einmischung in die Unabhängigkeit?
Ich erinnere mich nicht an viele Fälle, wo es geheißen hat: Haltet den Ball flach. Bei „Panorama“ konnten wir eigentlich schon das machen, was wir wollten. Jedenfalls kann ich das für die Zeit sagen, in der ich da bin. Und das sind auch schon fast zehn Jahre.
Früher stand „Panorama“ unter Dauerbeschuss, es gab sogar Parlamentsdebatten über die Sendung.
Ja, allerdings. Aber da gab’s ja auch nur drei Sender. Die Aufmerksamkeit verteilt sich halt heute mehr. Da steht „Panorama“ nicht mehr so im Fokus.
Ist es für die Unabhängigkeit der ARD-Magazine gut, dass es so viele gibt? „Monitor“, „Panorama“, „Fakt“, „Kontraste, „Report Mainz“, „Report München“.
Das war ja das Konstrukt: Früher gab es „Panorama“ als rotes, linkes Magazin und das schwarze Gegengewicht aus München. Heute ist die reine Farbenlehre vorbei.
Ist das ein Problem?
Schon. Ein Politmagazin braucht Profil. „Monitor“ ist sich da noch am treuesten geblieben. Aber die Magazine haben es schwerer, weil es die alten Strukturen nicht mehr gibt. Man kann nicht sagen: Sozial ist nur SPD, und CDU ist nur arbeitgeberfreundlich. Ein bisschen vermissen wir einen wie Strauß.
Wäre da nicht ein starkes ARD-Politmagazin besser?
Das wäre schlauer. In der Medienlandschaft musst du ja heute erst mal gefunden werden. „Frontal“ beim ZDF hat eine Redaktion, die jede Woche sendet. Es wäre ja schon eine Verbesserung, wenn die ARD ein Montags- und ein Donnerstagsmagazin mit jeweils einem Gesicht hätte. Der Königsweg wäre, die Marken, die Studio-Optik und die Moderation zu vereinigen, damit du mehr Schlagkraft hast. Dafür müsste man aber fünf Magazine oder zumindest deren Namen und Moderatoren abschaffen und das ist schwierig. Wer soll denn verzichten?
Wie ist das mit Ihrem Profil? Wo steht Anja Reschke?
Politisch? Das ist ja das Problem. Vor dem Problem steh ich vor jeder Bundestagswahl. Ich wäre wahnsinnig gerne politisch aktiv. Es regen mich Sachen auf und die würde ich gerne ändern. Ich wäre gern Politiker. Aber ich weiß nicht, in welcher Partei.
Sie scheinen sich fast dafür zu schämen. Dass Sie nicht wissen, wo der Feind steht.
Tja, die Welt ist vielschichtiger. Wenn du zuverlässige Feindbilder hast, kannst du klare Kante fahren.
Sie schätzen Napoleon …
Eine Sammelleidenschaft. Das begann mit einem Buch. Mit 14, das fand ich cool. Danach hat mir jeder Napoleon-Bücher geschenkt, Statuen und Korkenzieher. Napoleon hatte ein einnehmendes Wesen. Er wollte was.
Beneiden Sie ihn um seine Feinde? Metternich, Lord Nelson …
Mit seinen Feinden war er unerbittlich. Interessant.