HARALD HEISKEL NEBENBEFUND : Ihr müsst leider draußen bleiben
Mousepads, Computersticks und tütenweise kaum erprobte Medikamente – warum Pharmareferenten nur noch als Patienten in unsere Praxis dürfen
Da ist er ja schon wieder. Der Pharmareferent. Steht lässig an der Anmeldung und schäkert mit den Medizinischen Fachangestellten. War der nicht letzte Woche erst hier? Vorgeplänkel, Frage nach Frau und Kind, ich bin angespannt, schon zwanzig Minuten über dem Zeitplan. Dann raunt er mir zu: „Ich hab da was Besonderes für Sie“, und greift in seine Aktentasche.
Seinem männerbündelnden Timbre zufolge erwarte ich ein pikantes Herrenmagazin. Aber nein, es ist nur wieder eine Hochglanzbroschüre über ein neues Blutdruckmittel. Auf dem Titel ein glücklicher Rentner vor Bergkulisse, drin bunte Balkendiagramme und farbig unterlegte Kernaussagen. Der Referent hat auch eine Tüte mit Ärztemustern dabei.
Ich bin ein freundlicher Mensch, und es kostet mich etwas Zeit, mich ihm unter Wahrung des Höflichkeitsgebots zu entziehen und meine Aufmerksamkeit wieder meinen Patienten zu widmen. Ich bin dreißig Minuten im Verzug. Doch schon kurz darauf kommt jener Vertreter, der unserer hausärztlichen Praxisgemeinschaft von vier Ärzten und sechs Angestellten eine interne Notfallweiterbildung organisiert hat. Den kann ich nicht stehen lassen, er hat ja auch ein nettes Lächeln. Beim letzten Mal haben wir seine Einladung zum Essen abgelehnt und stattdessen ihn ausgehalten. Den ganzen Abend hat er mit seiner Brieftasche gewunken. Aber wir zahlen unser Essen immer selbst. Heute lässt er einen Beutel mit Blutzuckermessgeräten zum Stückpreis von 100 Euro da. Kostenlos! Da sparen doch die Kassen, freue ich mich. Bis ich den Preis der dazugehörigen Teststreifen sehe. Meine Stimmung trübt sich. Vierzig Minuten im Verzug. Ich bin angespannt.
Nur zwei Patienten später schießt im Praxisflur eine junge Pharmareferentin auf mich zu. „Darf ich Sie zu einer Fortbildungsveranstaltung im Marriott einladen. Es gibt interessante Vorträge zu zeitgemäßer Cholesterinsenkung mit Professor Dr. Dr. Mietmaul, anschließend ein ausgezeichnetes Mittagessen.“ Sie drückt mir zwinkernd eine Sporttasche mit Ärztemustern in die Hand, „die dürfen Sie behalten“. Schon etwas mürrisch stelle ich die Tasche zu den anderen Gaben. Die Einladung lehne ich ab. Bei der letzten industriegesponserten Veranstaltung kam ich auf dem Weg in den Vortragssaal kaum an den Pharmaständen vorbei. Der vortragende Chefarzt stolperte sprachlich und inhaltlich durch „seinen“ Vortrag, der ihm offenbar vom Arzneimittelhersteller „vorstrukturiert“ worden war. Dessen Präparat musste er so oft nennen, dass er es am Ende des Beitrags fehlerlos aussprechen konnte. Während die anwesenden Ärzte mit Blick auf die Uhr das Büfett erwarteten, half ein im Publikum positionierter Pharmareferent durch detaillierte Einwürfe dem Vortragenden auf die Sprünge. Der Patienten-Vertreter einer pharmagesponserten Selbsthilfeorganisation bekundete, dass man Ärzte, die sich weigerten, das neue Medikament zu verschreiben, doch eigentlich wegen unterlassener Hilfeleistung anzeigen müsste.
Mir ist der Appetit vergangen. Nein, ich mag schon lange keine Kugelschreiber, Mauspads oder USB-Sticks mehr. Seit zwei Jahren lassen wir keine Pharmavertreter mehr in unsere Praxis. Auch die mit dem netten Lächeln nicht. Ich jedenfalls habe seither mehr Zeit für meine Patienten, und die Schränke sind nicht so voll mit überteuerten und wenig erprobten Arzneien. Meine Suppe koch ich lieber selbst.
■ Der Autor ist Allgemeinmediziner in Frankfurt am Main Foto: privat