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Archiv-Artikel

„Den Stress mach ich mir selbst“

Die Kreativbranche boomt. Tausende Jungberliner finden dort Beschäftigung. Geregeltes Einkommen kennen sie ebenso wenig wie feste Arbeitszeiten. Dafür genießen sie ihre künstlerische Freiheit

VON MARTIN REISCHKE

Der Arbeitsweg von Meike Vollmar ist ziemlich kurz: Nur ein paar Stufen trennen die Wohnung der 27-Jährigen in der Oderberger Straße von ihrem kleinen Laden mit Atelier, in dem sie täglich arbeitet. Vollmars Arbeitstage sind dagegen gerade ziemlich lang. Bis spät in die Nacht arbeitet die junge Modedesignerin selbst am Wochenende an der neuen Kollektion ihres Labels „Macqua“, die sie Ende Januar auf der Berliner Modemesse „Bread & Butter“ vorstellen wird. Wenn sie nach der Arbeit müde ist, braucht sie bloß ein paar Treppenstufen zu steigen – und ist schon zu Hause.

Dass ihr Arbeitsplatz und Wohnort in Prenzlauer Berg so dicht beieinander liegen, passt gut zu Vollmars Lebensstil: Denn eine klare Trennung von Job und Privatleben kennt sie ebenso wenig wie feste Arbeitszeiten oder ein geregeltes Einkommen. Manchmal bekommt sie für einen größeren Auftrag auf einen Schlag viel Geld, dann wieder wochenlang gar nichts. „Natürlich muss man sich überlegen, ob es für die Miete reicht und für das Essen, aber irgendwie klappt es dann immer“, sagt Meike Vollmar. Ihr Lebensstil ist exemplarisch für den tausender Jungberliner, die in der Kreativbranche arbeiten. Als selbständige Künstler haben sie zwar alle Freiheiten, arbeiten dafür aber oft am Rande der Selbstausbeutung mit Arbeitszeiten, die bei fest Angestellten nur für Kopfschütteln sorgen würden.

Dabei hätte Vollmars Berufsweg durchaus anders aussehen können: Nach der Ausbildung an der Esmod-Modeschule in Kreuzberg und einem Praktikum hatte sie ein Jobangebot in München. Vollmar lehnte ab. „Wenn ich in einer großen Firma arbeite, muss ich mich entscheiden, in welcher Abteilung ich arbeiten will“, sagt sie. „Als Selbständige kann ich alles machen.“ Ausgebeutet fühlt sie sich nicht – im Gegenteil: „Das Wichtige ist, dass ich nur das mache, was mir Spaß macht“, sagt Vollmar. „Wenn ich Stress habe, dann mache ich mir den selbst, weil ich gut sein will.“

Auch Marianne Sonneck hat sich für ein Leben als selbständige Künstlerin entschieden. Nach ihrem Schauspielstudium in Graz hatte die gebürtige Wienerin einige Gastverträge an verschiedenen deutschen Stadttheatern, bevor sie vor sechs Jahren nach Berlin kam. Hier gründete sie 2000 zusammen mit drei Wiener Freunden die Künstlergruppe „Club Real“.

Gerade die Anfangszeit war schwierig: „In Berlin kannst du zwar machen, was du willst, aber es dauert sehr lange, bis du dafür Anerkennung bekommst“, sagt Sonneck. „Ich habe gearbeitet, aber nichts verdient, wirklich gar nichts.“ Ihren Lebensunterhalt hat die heute 30-Jährige damals mit Arbeitslosengeld, später mit Arbeitslosenhilfe bestritten.

Momentan kann sie von ihrer künstlerischen Arbeit leben. Gerade das Berg-Projekt im Palast der Republik im Sommer vergangenen Jahres, an dem auch der „Club Real“ beteiligt war, hat etwas Geld in die notorisch leere Kasse gespült. Marianne Sonneck ist sparsam: Für ihr Leben in Prenzlauer Berg braucht sie jeden Monat gerade einmal rund 750 Euro.

Auch in Zukunft soll das Geld nicht an erster Stelle stehen: „Wir hatten mal eine Phase, wo wir gesagt haben, wir machen nichts mehr für umsonst“, sagt Sonneck. „Aber jetzt entscheiden wir das wieder von Fall zu Fall.“ Am nächsten Projekt – der Wintersportolympiade für Stofftiere und Puppen 2006 – wird die Gruppe wahrscheinlich nichts verdienen. Die Veranstaltung in Prenzlauer Berg wird zwar vom Quartiersmanagement gefördert, doch das deckt gerade einmal die Unkosten. Ihre finanziell schwierige Lage bedauert Sonneck trotzdem nicht: „Wenn ich eine gesicherte Existenz hätte, müsste ich schließlich das machen, was von mir verlangt wird“, sagt sie. „Der einzige Grund, als Künstler selbständig tätig zu sein, heißt meine künstlerische Freiheit auszukosten.“