: Öffnen und sprengen
Zeig mir deine Pornos, und ich sag’ dir genau, wie und wo du lebst: Der Analverkehr als absoluter Wahrheitsbeweis, als Spiegel der Gesellschaft gar? Neuigkeiten über Pornografie und Pop
VON KLAUS WALTER
„Analsex. Beschissener Analsex. Verkackter, schmieriger, stinkender, Rosetten sprengender, verfickter Analsex. Jetzt weiß ich, dass ich Ihre Aufmerksamkeit habe, denn ausnahmslos jeder interessiert sich fürs Arschficken.“ So beginnt das dritte Kapitel von „Pornostar“ (Heyne Verlag, 640 S., 15 Euro), der Autobiografie von Jenna Jameson.
Sie weiß, wie sie Aufmerksamkeit erregt, schließlich ist die 31-jährige Blondine einer der größten Pornywood-Stars. Und das wurde sie, ohne jemals Analsex vor der Kamera praktiziert zu haben, eigentlich ein Unding in der Branche. Der Analverkehr ist nämlich der Dreh- und Angelpunkt der Pornografie. Dem Pornokonsumenten gilt die die Penetration des Anus als Wahrheitsbeweis, der Analverkehr hat „den größeren Realitätseffekt, weil er die ins Wanken geratene Fiktion erneut authentifiziert“, so Jörg Metelmann über „Das Porno-Pop-Format“.
Da gerät einiges ins Wanken beim Porno: Seine Geschäftsgrundlage ist die voyeuristische Lust des einsamen männlichen Zuschauers und sein Wunsch dabei zu sein anstelle des männlichen Hauptdarstellers. Diese Geschäftsgrundlage bricht zusammen, wenn der Zuschauer masturbierenderweise seinen eigenen Cum-Shot absolviert hat. Dann ist der Halter des erschlafften Penis anfällig für den nagenden Zweifel, der dem Porno eingeschrieben ist wie die Erbsünde: Ob es denn echt ist? Um der Echtheit willen muss der Stellvertreter des Zuschauers im Film sein Arbeitsgerät aus den stets zur Verfügung stehenden Körperöffnungen heraus ins Freie ziehen, um den Realitätsbeweis anzutreten: möglichst viel möglichst weit spritzen.
Der Cum-Shot ist die Währung des Porno, der männliche proof of the pudding, den die Frau nicht auf Lager hat. Inzwischen bieten viele Porno-DVDs die gesammelten Komm-Schüsse als XXX-Tra-Attraktion, quasi im Greatest Hits- Modus. Oder im Tor-des-Monats-Modus. Wenn der Cum-Shot die harte Währung des Porno ist, dann ist der Analverkehr sein Härtetest.
Die sichtbare Ejakulation verifiziert die männliche Lust, der – gerne gewaltsame – Vollzug des Analverkehrs verifiziert im Blick des mit dem männlichen Akteur identifizierten Zuschauers die weibliche Unterwerfung in Schmerz und Lust. Dieser Wunschvorstellung liegt der Verdacht zugrunde, dass die Lust der Frau beim Vaginalverkehr nur gespielt ist. Seitdem die Frauenbewegung der Sechzigerjahre den Mann mit berechtigten Zweifeln am vaginalen Orgasmus konfrontiert und so die allein selig machende Kraft des Phallus in Frage gestellt hat, fällt dem Analverkehr erhöhte Bedeutung zu.
Aktuelle Belege kommen von entgegengesetzten Enden der kulturellen Skala: Der Berliner Aggro-Rapper Sido erschreckt mit der Gossendrastik seines Arschficksongs besorgte Eltern und alarmiert Politiker. Den österreichischen Literaturpreis Floriana erhielt der Schriftsteller Jürg Amann für seine pornografische Novelle für Zeilen wie diese: „Sie wölbte mir den Hintern entgegen. Ich öffnete ihn, ich sprengte ihn auf.“ Skandal oder Kulturprestige – beim Analverkehr eine Frage der Kontexte.
Jörg Metelmann sieht die Konjunktur des Analverkehrs verwoben mit „Machtfragen, die aus männlicher Sicht auf die Wiedereinsetzung des Phallischen zielen“. Beim Vaginalsex bleibt die Frau das ewige Rätsel, „das nicht durchschaubare Andere“, dagegen schafft der Analsex klare Verhältnisse und erspart dem Mann den heiklen Blickkontakt mit der undurchschaubaren Anderen.
„So archaisch wie nur möglich“ seien die Geschlechterverhältnisse im aktuellen Pornogenre. Sollte also der Analverkehr mit seiner Rhetorik des Aufsprengens und Willenbrechens dem verunsicherten Phallus zum Comeback in die Herrschaftsposition verhelfen?
Bei aller Skepsis gegen Widerspiegelungstheorien lässt sich kaum bestreiten, dass die Pornografie Zeugnis ablegt über die Mikrophysik der jeweiligen Macht. Zeig mir deine Pornos, und ich sag’ dir, wo du lebst. Wir leben unter den Imperativen der Machbarkeit: Optimiere deine Performance! Identifiziere dich mit Haut und Haaren mit deinem Projekt (auch wenn’s ein Scheißjob ist)! Work your body! Der Porno gehorcht einem engmaschigen Netz aus Imperativen. Vom obligatorischen Cum-Shot über die Großaufnahme von Pink – so heißt im anschaulichen Pornsprech das Fleisch des weiblichen Geschlechts – bis hin zur Königsdisziplin: der Doppelpenetration, bei der die Frau gleichsam von einem phallischen Schraubstock fixiert wird. Die Handlung, die Erzählung wird im modernen Porno willkürlich zerstört, gesplittet und fragmentiert wie die Körper der Handelnden. Herrenlose Schwänze stecken in herrinnenlosen Mösen, anonymes Sperma zergeht auf namenlosen Frauenzungen. So spiegelt der Mainstream-Porno Herrschaftsverhältnisse unserer Gesellschaft: das Eindringen der Macht in ehedem geschützte Bereiche des Privaten, der Terror der Intimität, die Zerstörung von Kontinuität, die Fragmentierung von Arbeitsabläufen, das Ich als Profitcenter. Jenna Jamesons Autobiografie „Pornostar“ spielt auf dem Schlachtfeld der Pornografie und ist zugleich ein Dokument des White Trash. Aufgewachsen in schwierigen Familienverhältnissen, früh die Mutter verloren, gerät die junge Jenna in Biker- und Tattoo-Kreise. Dort lernt sie, dass die jederzeitige Machbarkeit von Sexualität auch mit Gewalt durchgesetzt werden kann. Die Verfügbarkeit des weiblichen Körpers korrespondiert in dieser Szene mit der Verfügbarkeit von Drogen jeder Art, polytoxikoman zu sein hilft beim Polygamsein.
Hier haben sich die Errungenschaften der so genannten sexuellen Revolution in ein Terrorregime der Sexploitation verwandelt und der Rock-&-Roll-Lifestyle entpuppt sich als Bilder stiftendes Ferment der Porno-Branche. Jenna Jameson liefert präzise Details über die sexuellen Qualitäten von Marylin Manson (gut ausgestattet, einfühlsam, analfixiert) und Mötley Crues Tommy Lee (rabiat, unermüdlich, schwanzgesteuert). Mit der Gewinnergeste einer Selfmade-Frau, die sich hoch gestrippt und hoch gefickt hat, bezeichnet sich Jameson als Feministin. Inzwischen hat sie die Kontrolle über ihre Produktionen und kann es sich gegen jede Branchenlogik leisten, vor der Kamera nur noch mit einem einzigen Mann Sex zu haben – ihrem eigenen.
Selbstverständlich verträgt sich Jamesons Feminismus gut mit den Machbarkeitsideologien der Sexindustrie. Die obligatorischen Eingriffe der Chirurgie kommentiert sie mit zupackendem Pragmatismus. „Ein Mädchen, das sich gerade die Brüste hat machen lassen, erkennt man immer daran, dass sie sie jedem zeigt.“ Warum? „Mit den Brüsten, mit denen man zur Welt gekommen ist, würde man nie so offenherzig verfahren.“
Unangekränkelt von feministischen Diskursen kommt Jenna selbstverständlich via Klitoris und via G-Punkt zum Orgasmus, was nicht nur Geschlecht und Herkunft ihres Ghostwriters geschuldet sein dürfte. Ian Strauss schreibt für den Rolling Stone, Amerikas Bastion des männerdominierten Rock’n’Roll. Der Glaube an den ominösen G-Punkt folgt einer technizistischen Funktionslogik der Sexualität: Drückst du diesen Knopf, passiert jenes.
Auch über die Ökonomie erfährt man einiges in „Pornostar“. So verdient eine halbwegs bekannte Darstellerin mit Strip- Shows viel mehr als beim Film. Die Männer schmeißen Geldscheine auf die Bühne und kaufen sich einen privaten Lap-Dance. Oder zahlen 50 oder 100 Dollar für ein Polaroid mit ihrem Star.
Das Porno-Pola, der archaische symbolische Tausch: Geld gegen Foto, nicht etwa auf digitalem Speicher, nein, das noch feuchte Unikat, das Ejakulat des Fotoapparats. Manchmal ist Porno schon ziemlich abstoßend, aber irgendwie hält er einen doch bei der Stange. Das muss wohl das unlösbare Resträtsel der männlichen Triebstruktur sein.