: „Lehrkräfte werden ruhiggestellt“
BILDUNG Während der mündlichen Abiturprüfungen nächste Woche plant die Lehrergewerkschaft GEW neue Streiks. Vorsitzende Doreen Siebernik über die Forderungen, den Rückhalt unter Schülern und Eltern sowie den eskalierenden Konflikt mit Finanzsenator Nußbaum
■ 44, ist Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin.
INTERVIEW ALKE WIERTH
taz: Frau Siebernik, die Beteiligung am letzten Streik der angestellten LehrerInnen war hoch. Hat Finanzsenator Ulrich Nußbaum Ihre Forderung nach Gesprächen über einen Tarifvertrag nun akzeptiert?
Doreen Siebernik: Wir haben nichts von ihm gehört.
Dabei hat doch das Arbeitsgericht Ihre Forderung als berechtigt anerkannt.
Dass Herr Nußbaum sich dennoch nach wie vor als Ansprechpartner für Tarifverhandlungen nicht zuständig fühlt, überrascht uns. Das hat das Gericht anders gesehen. Natürlich ist er nicht dafür verantwortlich, eine bundesweit einheitliche Entgeltordnung für angestellte Lehrkräfte zu verhandeln. Aber die Satzung der TdL …
… der Tarifgemeinschaft deutscher Länder als Arbeitgeberverbund der Angestellten im öffentlichen Dienst …
… ermöglicht einzelnen Ländern, landeseigene Regelungen abzuschließen. Berlin müsste sich dann dafür die Zustimmung der TdL holen. Aber dazu ist Nußbaum offenbar gar nicht bereit.
Wie geht die GEW nun vor?
Wir werden weiterstreiken. Der Plan ist, die dritte Maiwoche als Aktionswoche zu gestalten, in der von Montag bis einschließlich Freitag gestreikt wird.
Sodass die Schulen dann in der Woche ganz schließen?
Das sicher nicht. Noch stehen etwa 8.000 angestellten Lehrkräften ja mehr als 20.000 beamtete Kräfte gegenüber. Aber es wird sicherlich zu starken Beeinträchtigungen kommen.
Es hat viel Kritik daran gegeben, dass die GEW zuletzt an einem Tag gestreikt hat, an dem SchülerInnen Prüfungen für das Abitur oder den Mittleren Schulabschluss ablegen mussten. Das beträfe bei den jetzt geplanten Streiks die mündlichen Abiturprüfungen, bei denen die jeweiligen Fachlehrer schwerer zu ersetzen sind als bei schriftlichen Tests.
Die Empfehlung der Landestarifkommission lautet, dass Warnstreiks, die an Schulen mit Abschlussprüfungen stattfinden, so gestaltet werden sollen, dass dadurch keine Nachteile für die Schülerinnen und Schüler entstehen. Die Konkretisierung obliegt der jeweiligen Schule. Es gab darüber viele Diskussionen. Viele KollegInnen sind entschlossen, weiter für ihre Rechte zu streiken, und sind froh über unsere Konsequenz.
Dabei gehe es ihnen gar nicht um mehr Geld, sondern um Gerechtigkeit, stand auf Plakaten der Lehrkräfte beim letzten Streik. Und Nußbaum sagt, angestellte Lehrer verdienten in Berlin sowieso längst mehr als in anderen Bundesländern. Worum geht es Ihnen also eigentlich?
Angestellte werden entsprechend ihrer Ausbildung in Tarifsysteme eingeordnet und danach bezahlt. Für angestellte Lehrkräfte aber fehlt ein solches Ordnungssystem. Bislang gruppiert der Arbeitgeber – also das Land – einseitig und von sich heraus angestellte Lehrkräfte in Entgeltgruppen ein. Damit behandelt er sie im Prinzip wie „Beamte light“.
Ist das schlecht? Viele Lehrer wären doch gerne Beamte!
Es ist schlecht, denn er verwehrt ihnen ihre Arbeitnehmerrechte. Viele angestellte Lehrkräfte werden sich zunehmend ihrer Rechte und ihrer Kraft bewusst. Beamte dürfen nicht streiken. Wir haben aber dieses Recht. Das hat ja auch das Arbeitsgericht noch einmal festgestellt.
Um mehr Geld geht es also wirklich nicht?
Es geht um gerechte Bezahlung, denn dazu trägt eine Entgeltordnung maßgeblich bei. Derzeit werden zum Beispiel angestellte Grundschullehrkräfte erheblich schlechter als Gymnasiallehrkräfte bezahlt. Doch alle voll ausgebildeten Lehrkräfte verfügen über zwei Staatsexamen. Der Arbeitgeber sortiert sie dennoch unterschiedlich ein. Und das von Nußbaum gern und oft zitierte Einstiegsgehalt von 4.700 Euro brutto ist ein attraktives Lockangebot, das aber längst nicht für alle Lehrkräfte zutrifft und dem Berliner Senat hauptsächlich dazu dient, angestellte Lehrkräfte ruhigzustellen.
Sie fordern also eine geregelte Tarifordnung für Lehrkräfte – warum muss das ausgerechnet zur Prüfungszeit sein?
Unsere Forderungen an Nußbaum haben wir bereits im November gestellt – ohne Ergebnis. Nun eskaliert der Konflikt im Frühjahr, und da ist eben Prüfungszeit.
Sie riskieren damit den Rückhalt bei den Eltern, die die Lehrerforderungen bislang zum großen Teil unterstützt haben.
Zum einen hat das Gerichtsurteil die Rechtmäßigkeit und die Verhältnismäßigkeit unserer Streiks bestätigt. Und die Erfahrung vom letzten Streik hat den Eltern gezeigt, dass es nicht zu Beeinträchtigungen bei den Prüfungen ihrer Kinder kam. Wir werden beraten, wie wir die Sympathien und das Verständnis der Eltern erhalten können. Aber unsere Lehrkräfte sagen ganz deutlich auch, dass sie weiter für ihre Forderungen kämpfen wollen.
Und was ist mit den SchülerInnen?
Die Bedeutung der politischen Debatte über den Wert von Arbeit erkennen auch viele SchülerInnen. Das zeigen die vielen Mails, die wir in der vergangenen Woche erhalten haben, in denen SchülerInnen uns fragen, ob wir sie nicht in den Protest einbinden können. Viele wollen sich beteiligen.