: Die Drogentristesse der Steppenwölfe
Der 100. Geburtstag von Albert Hofmann erinnert an die 70er-Jahre, als seine Erfindung LSD Allgemeingut wurde
Es war Silvester. Wir saßen am Tisch, aßen Frikadellen und sprachen über Albert Hofmann, den Schweizer Chemiker, der am 19. April 1943 zufällig das LSD entdeckte und heute seinen einhundertsten Geburtstag feiert. Und über die Vorstellung, ein irgendwie interessantes Experiment zu machen, wenn man LSD nahm, die einen als Teenager begeistert hatte. Samt dem existenzialistischen, mystischen, prima mit Hesses „Steppenwolf“ oder auch dem „Herrn der Ringe“ kombinierbaren Beiwerk beziehungsweise Brimborium.
Tatsächlich liefen die Trips dann so: wir tranken Tee am Samstagnachmittag, guckten noch mal ins „I Ging“, nahmen das Zeug, lasen noch ein wenig im „Tao Te King“ oder in den Gedichten von „Han Shan“, gingen raus und setzten uns auf eine Bank am See, wo wir Lachanfälle kriegten, während wir den Leuten zusahen, die in der Nähe spazieren gingen. Leider blieb die große Erleuchtung aus, leider landete man auch nicht in Woodstock; nur manchmal kam eine unglaubliche Harmonie daher, und am Ende fühlte man sich meist ziemlich fertig. Das Sich-total-fertig-und-einsam-Fühlen danach war eigentlich die Haupterfahrung.
Als Teenager waren wir jedenfalls durch Bücher und Musik zu den psychedelischen Drogen gekommen. Und es ging uns bei den Trips und auch beim Kiffen nicht ums Amüsement, sondern irgendwie um wichtige Erkenntnisse. Weil wir uns selbst ein Rätsel waren, ein wenig außenseiterisch, ein bisschen gestört, aus anderen Verhältnissen als die Mitschüler, uns nicht so richtig heimisch fühlten in unserem Leben, romantisch waren und uns nach einem intensiven Leben sehnten.
Die Zeit, in der wir als vernunftbegabte Teenager lebten, diese späten Siebziger, waren ja irgendwie depressiv. Alles schien tot oder nur noch der Abglanz von etwas zu sein, das zuvor großartig gewesen war. So stellten wir uns das vor und lebten – die Jungs mehr als die Mädchen – ab sechzehn vor allem in Vergangenheiten. Der der Beatgeneration usw. Ich kenne viele, die sich vollkommen mit bestimmten Kerouac-Helden, mit Allen Ginsberg, mit dem Ich-Erzähler von „Junkie“ oder mit Harry, dem Steppenwolf, oder später auch mit Bertram Vesper und in der Uni natürlich mit Walter Benjamin identifizierten.
Wir lasen total viele Bücher. Das ganze 68er-Zeug, und steigerten uns total in alles rein. Ohne die Vorstellung einer Gegenwelt schien uns alles unerträglich. Und wir literarisierten unser Leben sehr. In diesem Umfeld der Selbstliterarisierung waren Drogen wichtig. Sie waren eine Probe aufs Exempel, dass man’s ernst nahm. Eine Oblate, deren Einnahme einen mit einer Geschichte offiziell verband, deren Teil man werden wollte, weil sie selber etwas in einem angesprochen hatte, ein unklares Gefühl des Andersseins. Was für die einen die RAF war, war für die anderen das LSD, wobei sich die erste Terroristengeneration ja auch mit allerlei Drogen in ihren Wahn hineingesteigert hatte. Zwei Jahre ungefähr war LSD Teil eines auch asketischen Bildungsprogramms, einer Erzählung dessen, wie man sein wollte. Während die Bücher des Drogenapostels Timothy Leary dazu aufforderten, Drogen nehmend völlig aus der Gesellschaft auszusteigen, wirkten Albert Hofmanns Schriften in diesen Zusammenhängen eher mäßigend.
Später, als man endlich aus der Kleinstadt draußen war, nahm man davon Abstand, vielleicht auch, weil einem der ganze Hippiekram nach dem Selbstmord eines Freundes irgendwie kindisch, kitschig und verlogen vorkam. Irgendwann Mitte der 90er, als sozusagen Erwachsener, hatte ich dann noch mal einen Trip genommen, der recht schön war, und das reichte dann auch. Irgendwie fühlte ich mich dann auch mehr denen verbunden, die derlei Drogen nahmen, als der Droge selbst und fand die Vorträge auf irgendwelchen psychedelischen Kongressen meist eher obskur, auch weil darin seit vierzig Jahren ungefähr immer noch der gleiche künstliche New-Age-Quatsch wiederholt wird.
„LSD, richtig und ernsthaft angewendet, revolutioniert unser Weltbild, zerstört die verheerende Idee des Vergleichens, der Konkurrenz und löscht die Identifikation an sich“, heißt es etwa völlig gaga auf dem Reklamezettel zum derzeitig stattfindenden LSD-Kongress in Basel. Eher lustig ist dagegen die Behauptung: „Das Zeitalter der Bewusstseinserweiterung hat gerade erst begonnen“, vor allem, wenn man bedenkt, dass dieser Satz etwa vierzig Jahre alt ist.
DETELF KUHLBRODT
Siehe das Interview mit Albert Hofmann auf Seite 13