: Puppenstube Deutschland
Die Investitionen in Gebäudesanierung stehen in guter Tradition: Der Wunsch nach Handwerkerei zum schönen Schein hat den deutschen Alltag immer bestimmt. Jetzt sind die Fassaden dran
VON JAN FEDDERSENUND MICHAEL AUST
Die Ankündigung wird Handwerkerherzen bewegt haben. Verhüllt als Konjunkturförderungs- und Investitionslenkunsprogramm, will die große Koalition dieses Jahr ein Gesetz zur Förderung der Gebäudesanierung beschließen (steuerlich absetzbar, direkt gesponsert – dies aber ist noch offen).
Offenkundig handelt es sich dabei um eine Idee, die den Volkscharakter der Deutschen nüchtern bedient – wie ihn die Wiederaufbaugeschichte des Landes spiegelt: „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ war nicht ein Gassenhauer der frühen Fuffziger; überhaupt ist im deutschen Pop auffallend häufig von Häusern und Heimat die Rede – und von ihrer Abwesenheit: „Heimatlos“, „Wo ist das Haus?“ oder „Ein Haus ist nicht ein Haus“.
Nun macht man sich an den Relaunch öffentlich sichtbarer Oberflächen – und im Schein steckt ja bekanntlich die gründelndste Tiefe. Kein Land hat, gerechnet auf Einwohnerzahl und Fläche, so viele Baumärkte und Fachgeschäfte für den Heimwerkerbedarf. Gebäudesanierung? Ein aktuelles Schlagwort aus dem Merkel-Team, vorgetragen vom Leipziger Exbürgermeister Wolfgang Tiefensee, das Verheißungen weckt – nicht für die Baukonzerne, sondern für die mittelständische Handwerkerei. Zudem macht es mit grünen Szenen anschlussfähig. 70 Prozent der Altbauten sind nach wie vor reine Energievernichter. Die Fassaden hübsch zu machen, wie schon einmal bei einem ähnlichen Investitionsprogramm Anfang der Siebziger, und zugleich das Kioto-Protokoll zu bedienen: Das stimmt warmherzig, selbst in grünen Kernwählerschichten.
Und es korrespondiert mit dem heimlichen Streben der Deutschen, alles möge akkurat aussehen. Was sollen sonst die Leute denken? Baulücken sind dieser Logik zufolge allenfalls Signale des Verfalls. Deutschland wünscht sich selbst als ein Territorium, das einer Puppenstube gleicht – wie die Wohnungen, so die Häuser.
Dass es privat schon geht, darauf verweisen Kleingartenkolonien, Wochenendhäuser – und die wütende Leidenschaft, mit der binnen weniger Jahre nach 1945 die Trümmerlandschaften von Schutt und Asche befreit wurden: Ärmel hoch und ran. Erst das Nötigste, dann die Ornamente. Ein Land wie eine mit Latexfarbe gestrichene Raufasertapete, zu ihren Füßen gesäumt von Buchsbäumen, Wacholdersträuchern und Ligusterhecken. „Unser Dorf soll schöner werden“, wie das Programm Anfang der Sechziger hieß, das aus Einöden vorzeigbare Siedlungen machte.
Muss man solch einen Sauberkeitswahn verachten? Sollte man mal wieder das Argument von den Sekundärtugenden hervorholen, dass jeder äußere Glanz, und sei er noch so matt gestrichen, nichts an der Kälte der Gefühle ändere? Nichts als Fantasmen, Unterstellungen. Eindrücke aus unseren bestaunten Multikultiwelten beweisen vielleicht ja auch dies: Vor allem in den Baumärkten werden deutsch-türkische Allianzen geschmiedet, wo man miteinander über Flachzangen und Außenfarben fachsimpelt. Kein Wunder: Das Land, das neben Deutschland die meisten Handwerksfantasien hervorgebracht hat, ist die Türkei.
Schönheit der Fassaden, nicht als Makel einer architektonischen Entfremdung, ist international vorzeigbar: Man lobt die Wohnlichkeit der Siedlungen und das Gefühl, dort ein Zuhause zu finden.