: Auschwitz-Wachmann in Haft
NAZIS Die Staatsanwaltschaft Stuttgart beschuldigt den 93 Jahre alten Hans L. der Beihilfe zum Mord. Neue Rechtslage macht das Verfahren erst möglich
BERLIN taz | Ein ehemaliger Bediensteter des Vernichtungslagers Auschwitz ist am Montag wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord verhaftet worden. Nach Angaben der Stuttgarter Staatsanwaltschaft steht der 93-Jährige im dringenden Tatverdacht, ab Herbst 1941 Morde unterstützt zu haben. Eine Anklage werde vorbereitet.
Die Ermittlungen sind eine Folge des Demjanjuk-Urteils, bei dem das Münchner Landgericht im Jahr 2011 Rechtsgeschichte schrieb. In dem Verfahren wurde ein früherer Wachmann des Vernichtungslagers Sobibor zu fünf Jahren Haft verurteilt, ohne dass ihm ein konkreter Mord vorgeworfen werden konnte. Das Gericht folgte vielmehr der Argumentation der Staatsanwaltschaft, nach der sich alle Wachmänner in dem Lager aufgrund ihrer dortigen Tätigkeit der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht hatten. Das Urteil gegen John Demjanjuk ermöglicht daher nach Auffassung des Leiters der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen, Kurt Schrimm, erstmals Verfahren gegen in KZ eingesetzte Männer, die man bisher laufen lassen musste. Allerdings erlangte das Demjanjuk-Urteil keine endgültige Rechtskraft, da sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung Revision vor dem Bundesgerichtshof eingelegt hatten. Diese kam wegen des Todes des Verurteilten 2012 nicht mehr zur Verhandlung.
Derzeit laufen, ausgelöst von der Zentralen Stelle, Ermittlungen gegen 50 ehemalige Auschwitz-Wachmänner. L. ist der erste Fall, bei dem eine Verhaftung erfolgte.
Im konkreten Fall soll Hans L. als Angehöriger des Totenkopf-Sturmbanns der SS als Wachmann den Ausbruch von Gefangenen in Auschwitz verhindert haben. Später arbeitete L., wie er selbst gegenüber der Welt am Sonntag bekannte, als Koch für die SS-Mannschaften.
Nach dem Krieg verheimlichte er seine Tätigkeit in Auschwitz und konnte 1956 nach Chicago auswandern. Von dort wurde er 1982 ausgewiesen, weil er den US-Behörden seine SS-Vergangenheit verschwiegen hatte. Seitdem wohnte er im baden-württembergischen Aalen.
KLAUS HILLENBRAND