: Künstler sind die Avantgarde der Arbeitswelt
Im Maxim Gorki Theater debattierten junge Selbständige im Rahmen der Diskussionsreihe „Gorki direkt“ über ein brennendes Thema: sich selbst
Tausende junge, kreative Selbständige setzen in Berlin ihre künstlerischen Ideen um. Sie sehen sich häufig als Avantgarde. Auch das Theater kann gesellschaftliche Entwicklungen aufnehmen und antizipieren. So war es nur folgerichtig, dass am Dienstagabend das Thema „Kreative Selbständige“ im Mittelpunkt einer Veranstaltung der Diskussionsreihe „Gorki direkt“ stand, die in Zusammenarbeit mit der taz im Studio des Maxim Gorki Theaters stattfindet.
Avantgarde sind Kreative nicht nur im künstlerischen Sinn. Mit ihren Niedrigeinkommen, ungeregelten Arbeitszeiten und Patchwork-Biografien nehmen sie vorweg, wie sich künftig wohl große Teile der Arbeitswelt entwickeln werden.
Während die Aussicht auf ein prekäres Arbeitsverhältnis als Selbständiger die meisten Arbeitnehmer schreckt, ist vielen Künstlern und Kreativen eine positive Umdeutung bereits gelungen. Sie sehen die Selbständigkeit oft als notwendiges Mittel zum Zweck ihrer künstlerischen Projekte, die nur in einem selbstbestimmten Arbeitsumfeld möglich sind.
Der Chef des Berliner Filmverleihs „Neue Visionen“ kritisiert diesen Ansatz: „Das Ziel muss ein fester Arbeitsplatz sein“, sagt Torsten Frehse. Für dauerhaft unbezahlte Arbeit hat er kein Verständnis. Frehse hat in den vergangenen Jahren den Filmverleih in Prenzlauer Berg zu einem Kleinunternehmen aufgebaut, das mittlerweile acht Mitarbeiter beschäftigt.
Von einer Festanstellung kann Stefanie Raab nur träumen: „Für mich hat sich diese Frage nie gestellt“, sagt die Architektin. Heute organisiert sie für die Berliner Zwischennutzungsagentur billigen Mietraum für Kreative in leerstehenden Gebäuden.
Doch die prekären Arbeitsverhältnisse sind eine tickende Zeitbombe, meint Stefanie Raab: „Wenn die Leute in 30 Jahren alt sind und nicht mehr frei arbeiten können, wird es ein böses Erwachen geben. Denn Geld brauchen sie dann trotzdem noch.“ Woher das Geld allerdings kommen soll, wissen auch die Künstler noch nicht. MARTIN REISCHKE