: AMERICAN PIEDie Brave aus Burnsville
„Ich wäre schon glücklich über eine Bronzemedaille.“ Ganz bescheiden gibt sich Lindsey Vonn, die derzeit beste Skifahrerin der Welt, vor den Olympischen Winterspielen, die am Freitag in einer Woche in Vancouver eröffnet werden. Glauben mag ihr das keiner. Warum sollte man auch. Vonn ist schon jetzt die beste Skifahrerin, die je für die USA gestartet ist. 31 Weltcuprennen hat sie gewonnen. In den vergangenen beiden Jahren hat sie den Gesamtweltcup gewonnen. Auch in dieser Saison wird ihr keine Konkurrentin die große Kristallkugel streitig machen können. Schon seit ein paar Wochen wird sie in den US-Medien zum möglichen Superstar der Spiele aufgebaut. Vorschusslorbeeren gibt es zuhauf. Das Nationale Olympische Komitee der USA zeichnete Vonn mit dem „US Olympic Spirit Award“ aus. Den hat vor ihr noch keine Sportlerin bekommen, die noch keine olympische Medaille gewonnen hat.
Vonn wird bei den Spielen in allen alpinen Disziplinen an den Start gehen. Fünf Goldmedaillen soll sie gewinnen. Die Rolle als weiblicher, winterlicher Michael Phelps ist ihr zugedacht. Der alpine Skisport, für den sich die meisten US-Sportfans nicht einmal interessieren, wenn der Weltcup in den USA Station macht, will sich von Vonns fest einkalkulierten Erfolgen zu nie da gewesener Popularität tragen lassen. Doch die 25-Jährige winkt ab: „In einem Skirennen kann alles passieren. Du kannst in eine Windböe geraten und Zehnte werden, obwohl du eigentlich einen großartigen Lauf gehabt hast.“ Sie weiß, dass ihr eigentlich nur eine Wetterkapriole den Sieg in den Speed-Disziplinen Abfahrt und Super-G verbauen kann. Und doch bemüht sie sich, zurückhaltend zu bleiben.
Denn eine Rolle, die ihr von den Medien in den USA zugeschrieben worden ist, die hat sie längst internalisiert. Sie soll die Anti-Bode-Miller sein. Ein braver, fleißiger, zurückhaltender und immer gut gelaunter Gegenentwurf zum ewig nörgelnden, aufschneiderischen und schlampigen Ski-Genie aus dem US-Männerteam. Auch Miller führte 2006 die Weltcup-Gesamtwertung an, als er nach Sestriere an die olympischen Pisten gereist ist. Auch er sollte fünf Medaillen für die USA gewinnen. Doch am Ende machte sich alle Welt über ihn lustig. Vor den Spielen hatte er noch die Freigabe bestimmter Dopingmittel gefordert und behauptet, es könne schon einmal vorkommen, dass er einen Slalom im angetrunkenen Zustand bestreite. Er richtete sich in der Rolle des coolen Außenseiters im alpinen Skizirkus ein und versagte dann in Sestriere, wo er gar nicht selten zu vorgerückter Stunde in irgendeiner Bar beim Süffeln anzutreffen war. Fünf Auftritte, null Medaillen. Die US-Medien schlachteten Miller nach den Spielen regelrecht. Der sah sich daraufhin gezwungen, aus dem US-Männerteam zurückzutreten, und startete fortan als Einzelgänger im Weltcup. Dass er für die alpinen Wettbewerbe in Whistler wieder nominiert wurde, ist in der US-Presse nur noch am Rande vermerkt worden.
Miller hat als Hoffnungsträger ausgedient. Die brave Lindsey Vonn soll nun es richten. Die wird sich auch nicht in irgendwelchen Bars rumtreiben während der Spiele. Sie wird sich abends an ihren Mann kuscheln, den ehemaligen Skirennfahrer Thomas Vonn, mit dem die geborene Lindsey Kildow seit 2007 verheiratet ist. Nach den Rennen wird sie brav ihre Geschichte erzählen, von dem kleinen 90-Meter-Hügel in Burnsville, Minnesota, wo sie das Skifahren gelernt hat. Und davon, dass ihre Familie der Tochter zuliebe nach Vail gezogen ist, wo es richtige Berge gibt. Und sie wird bestätigen, was sie schon vor den Spielen immer wieder gesagt hat. „Ich möchte ein gutes Beispiel geben und Kindern ein Vorbild sein. Ich will mein Land würdig vertreten.“ Einen solchen Satz hätte Bode Miller nie gesagt.
ANDREAS RÜTTENAUER