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Archiv-Artikel

Alabasterhaut ist die perfekte Leinwand

BLUTLUST Der Koreaner Park Chan-Wook hegt gerne Rachefantasien. Nun hat er den Psycho-Thriller „Stoker“ in den USA gedreht

„Stoker“ wirkt wie ein Zitat zweiter Ordnung. Erst ganz am Schluss spritzt eine rote Gischt aus Blut auf Blumen

VON ANDREAS BUSCHE

Blut ist Park Chan-Wooks Spezialität. Am liebsten trägt der koreanische Regisseur es mit aktionistischem Schwung auf. Diese Vorgehensweise hat ihm in den vergangenen Jahren eine wachsende Fangemeinde beschert. Rot ist die Farbe des visuellen und emotionalen Exzesses – und Parks Filme befinden sich ständig im roten Bereich. „Lady Vengeance“, die Hauptfigur des gleichnamigen Abschlussfilms seiner „Rache“-Trilogie, war eine moderne Amazone mit einem aufreizenden Schneewittchen-Teint. Ihren roten Lidschatten trug sie wie ein Vogel seinen signalfarbenen Federschmuck: als unmissverständliche Warnung an ihre natürlichen Feinde. Parks demonstrative Gewaltentwürfe, die sich aus ähnlichen Quellen wie das Kino von Quentin Tarantino speisen, sprühen vor anrührendem Übermut – umso erstaunlicher ist seine beachtliche Selbstbeherrschung bei der Ausgestaltung einiger comichaften Bizarrerien. Das Zusammenspiel von Exzess und Kontrolle bedingt Park Chan-Wooks Ästhetik, entsprechend hoch waren die Erwartungen an sein Hollywood-Debüt „Stoker“. In welcher Konzentration würde dieses unberechenbare Gemisch aus High und Low, Pulp und Drama wohl die Kontrollinstanzen eines US-Major-Studios passieren?

Die Befürchtungen waren nicht ganz unbegründet. „Stoker“ ist zwar unverkennbar ein Film von Park Chan-Wook, doch eine entscheidende Nuance ist im Übersetzungsprozess verloren gegangen. Wie bei einer makellosen, handwerklich perfekten Kopie, die die beseelte Essenz eines Werkes nicht zu erfassen vermag. Vielleicht ist es der Humor, der Parks pessimistische Gesellschaftsbilder stets ein wenig erträglicher macht.

Unterschätzter Humor

Humor ist eine Eigenschaft, die an Park prinzipiell unterschätzt wird. Wie charakteristisch er für Filme wie „Oldboy“ oder „Thirst“ aber ist, merkt man erst, da Parks beflissene Ernsthaftigkeit jegliches Leben aus der frivolen High-Camp-Prämisse von „Stoker“ saugt. Nicole Kidman meint man in solchen Rollen schon öfter gesehen zu haben. Ihre aristokratische Blässe weist etwas Kränkliches aus, das ihre Figur für die Zumutungen des Lebens nicht besonders tauglich macht. Darum übt sie sich in Selbstkontrolle. Für ihre emotionale Schockstarre gibt es gute Gründe. Evelyns Ehemann ist bei einem Autounfall überraschend ums Leben gekommen, ausgerechnet am achtzehnten Geburtstag ihrer Tochter India, die Mia Wasikowska spielt.

Kidman und Wasikowska sind ätherische Schönheiten, deren Alabasterhaut sich ganz hervorragend als Leinwand für Parks Blutfantasien eignen würde. Aber um Blut geht es in „Stoker“ nur in einem allegorischen Sinn. Parks Film handelt von der Rivalität zwischen Mutter und Tochter. Die beiden Frauen könnten verschiedener kaum sein. Elliptische Rückblenden zeigen Vater und Tochter bei der Jagd, wo India bereits ein geübtes Händchen für Gewehre beweist. Die intime Nähe zwischen Mädchen, Vater und Waffe impliziert ein Bündnis, das auch Kidmans hochgeschlossene Abwehrhaltung erklären könnte. Als am Tag der Beerdigung der weltreisende Bruder des Vaters unerwartet in der Tür steht, scheinen die Bilder aus der Vergangenheit Nachklang zu finden. Die manierlichen Avancen des gut aussehenden Fremden gelten Evelyn, aber seine libidinösen Blicke bleiben an der reservierten India haften. „Ich will dein Freund sein“, sagt Onkel Charlie (Matthew Goode) mit ausdruckslosem Lächeln. „Du brauchst nicht mein Freund sein“, entgegnet das Mädchen. „Du gehörst zur Familie.“

Die Beziehung von Charlie und India verhält sich spiegelbildlich zum Vampirpärchen aus Parks letztem Film „Thirst“. Die Blutlust ist Veranlagung, genauso wie das sexuellen Begehren. Indias Unschuld endet mit der Ankunft Charlies. Doch der Schützling hat seinen Mentor schnell abgehängt.

Wirklich überraschend sind die Wendungen in „Stoker“ nicht, zumal sich Wentworth Millers Drehbuch allzu offensichtlich Hitchcocks Mechanik von Suspense bedient – „Stoker“ hat sich seine Figurenkonstellation bei „Im Schatten des Zweifels“ abgeguckt. Dass Park erstmals mit einem fremden Drehbuch arbeitet, wird in den formalen Entscheidungen augenscheinlich. Obwohl er die ästhetischen Kategorien sowohl des Psycho-Thrillers als auch des „Southern Gothic“ beherrscht, wirkt „Stoker“ wie ein Zitat zweiter Ordnung. Der „money shot“, Parks Markenzeichen, kommt erst ganz am Schluss: eine rote Gischt von Blut auf Blumen. Bis dahin hat man, bei aller Wertschätzung von Parks morbider Eleganz, das Gefühl, man säße im falschen Film.

■ „Stoker“. Regie: Park Chan-Wook. Mit Mia Wasikowska, Nicole Kidman u. a. USA/GB 2013, 99 Min.