LESERINNENBRIEFE :
Therapeutische Freiheit schützen
■ betr.: „Ausweg Bürgerversicherung“, taz vom 4. 5. 13
Unbestreitbar ist, dass die Finanzierbarkeit unseres Gesundheitssystems neu geordnet werden muss. Und zwar nicht nur wegen der verfeinerten prädiktiven Diagnostik (zum Beispiel Gendiagnostik), sondern auch wegen des veränderten Gesundheitsbewusstseins mit gestiegenen Ansprüchen, dem medizinischen Fortschritt insgesamt, dem Ausbau präventiver Angebote und natürlich dem demografischen Wandel. Doch gerade in dieser zunehmend schwierigen und komplexen Situation ist es unklug, alles auf die Karte „ Bürgerversicherung“ zu setzen. Private Krankenversicherungen als Buhmann unseres Gesundheitssystems anzuprangern ist einfach.
Gendiagnostik ist in erster Linie ein ethisch-juristisches Problem und kann nicht vorschnell als versicherungstechnisches Problem und Argument für die Bürgerversicherung angeführt werden. Als praktizierende Ärztin befürchte ich, dass wir in unserer Arbeit durch eine einzige Bürgerversicherung noch mehr gegängelt werden, und plädiere für den verstärkten Schutz der therapeutischen Freiheit, die auch durch die Wahlfreiheit des Patienten hinsichtlich seiner Versicherung mitgetragen werden sollte.
K. SCHRALLHAMMER-BENKLER, Garmisch-Partenkirchen
Konkrete Zahlen
■ betr.: „Altmaier geht die Energiewende zu schnell“, taz v. 2. 5. 13
Langsam wird es Zeit, dass Altmaier sich mal mit konkreten Zahlen auseinandersetzt, damit er zumindest mal einen Verdacht bekommt, wie die EEG-Umlage an welchen Stellschrauben beeinflusst wird. In einem zweiten Schritt kann man ihm ja immer noch erklären, dass die Erneuerbaren den Börsenpreis drücken – aktuell wurde wieder ein Rekordtief erreicht: Am Terminmarkt zahlen Händler für Stromlieferungen in 2017 erstmalig unter 4 Ct/kWh.
Konkret zu Altmaiers Ansinnen, den Ausbau der Windkraft auszubremsen: Die monetären Effekte dieser Gedankenspiele kann inzwischen jeder selbst nachprüfen, auch der Umweltminister, mit dem EEG-Rechner von agora-energiewende: http://www.agora-energiewende.de/themen/die-energiewende/detailansicht/article/kuenftige-eeg-umlage-selbst-ausrechnen/. Verändert man als einzige von 80 Stellgrößen die Ausbaugeschwindigkeit der Onshore-Windkraft von plus 2 GW pro Jahr auf plus 4 GW pro Jahr, so erhöht sich die EEG-Umlage in 2017 um 0,27 Ct/kWh. Eine Verdoppelung des Offshore-Windzubaus von vorher 1 GW auf 2 GW pro Jahr hat bei halber Leistungssteigerung einen doppelt so starken Teuerungseffekt auf die EEG-Umlage, nämlich plus 0,55 Ct/kWh. Aber richtig spannend wird es, wenn man an den Stellschrauben der Industrieprivilegien dreht. Reduziert man den privilegierten Letztverbrauch von den vorgegebenen 100 GWh/a auf 55 GWh/a, so reduziert sich die EEG-Umlage im Zieljahr 2017 um 0,68 Ct/kWh. Nimmt man zusätzlich noch den umstrittenen, von der EEG-Umlage befreiten Eigenverbrauch in Angriff, so kann man die 2017er-EEG-Umlage sogar unter das heutige Niveau drücken – und die Industrie profitiert immer noch von den durch die Bürger-Energiewende reduzierten Börsenpreisen.
EVA STEGEN, Freiburg
Dankbares Feindbild geliefert
■ betr.: „Opel statt Griechenland“, taz vom 2. 5. 13
Es bleibt zu hoffen, dass die beiden Meinungen aus der DGB-Jugend nicht repräsentativ sind. In jedem Fall sind sie ein weiteres Indiz dafür, dass die deutschen Gewerkschaften weiter den Kurs verfolgen, sich selbst abzuschaffen, anstatt auf die Welt da draußen zu reagieren. Die Ursache solcher Meinungen lässt sich leider nicht allein auf die Zeitung mit den vier Buchstaben beschränken, sondern die deutschen Medien sind voll von pseudoreligiösen oder moralisierenden Metaphern und Vorurteilen: Die BürgerInnen müssen Opfer bringen, um „die Märkte zu beruhigen“ (wie einst Urvölker für ihre Gottheiten), Regierungen müssen „ihre Hausaufgaben machen“, damit die strengen Schulmeister, die da IWF oder Ratingagenturen heißen, wieder gute Noten geben (wie damals in der Schule), und sowieso haben „wir alle“, vor allem aber die sowieso tendenziell „faulen Südländer“ (wir ham’s ja schon immer gesagt!), „über unsere Verhältnisse gelebt“ und müssen nun „den Gürtel enger schnallen“, aber bitte zuerst im Süden, denn da kam der ganze Schlamassel ja her.
Wer das alles glaubt, macht es sich zu einfach, zumal es trotz alledem noch einige Zeitungen und Programme gibt, die genauer hinsehen und die vermeintliche Alternativlosigkeit hinterfragen. Wenn außerdem nicht hinterfragt wird, wenn die Mehrheit der Menschen diese Meinungen einfach so übernimmt, dann hat die neoliberale Neusprech-Kommunikationsmaschine ganze Arbeit geleistet, indem sie „den kleinen Mann“ hierzulande gegen die kleinen Frauen und Männer andernorts ausspielt und so ein dankbares Feindbild liefert, da unbekannt und weit weg. Von der ArbeiterInnenbewegung einer großen Industrienation in einer vernetzten und globalisierten Welt wäre eigentlich mehr zu erwarten gewesen, als da einfach mitzumachen. Schade. CHARLOTTE KNIPS, Plettenberg
Aus Fukushima nichts gelernt
■ betr.: „Ein Ausbruch von Größenwahn“, taz vom 6. 5. 13
Es mutet wie ein Witz der Geschichte an, wenn die Türkei jetzt Atomkraftwerke neu errichten will (in Küstennähe) und es vermutlich auch tun wird, und das mit Japans Hilfe. Hat man denn aus der Tsunami-Katastrophe in Fukushima nichts gelernt? Ein Weiter-so, als wäre nichts gewesen, kann und darf es nicht geben!
CHRISTIAN LUKNER, Bonn