: Der Kämpfer von Station E1
Er schien für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt zu sein. Doch jetzt träumt Matej Mamic, der Kapitän des Basketball-Bundesligisten Alba Berlin, von einer Rückkehr in die Mannschaft
VON CHRISTIAN MEYERUND MARKUS VÖLKER
Matej Mamic sitzt in seinem Bett, die Rückenlehne ist hochgestellt. Das Krankenhauspersonal hat das Bett um zwanzig Zentimeter verlängert, damit die Füße des 2,03 Meter großen Mannes nicht im Freien baumeln. Mamic trägt eine graue Jogginghose und einen blauen Pullover mit dem Emblem seines Vereins Alba Berlin. Ein Basketball liegt griffbereit im Nebenbett. Er lächelt entspannt. Als Mamic beginnt, von seiner Physiotherapie zu erzählen, machen seine Hände ausladende Bewegungen; er erklärt gestenreich. „Ich bin ein bisschen müde, aber anders als nach einem Basketballspiel“, sagt er. „Wenn man den ganzen Tag auf den Beinen ist, ist man erschöpft.“ Einzig die Halskrause, die seinen Nacken fixiert, lässt in diesem Moment erahnen, warum er hier ist.
Vor 49 Tagen konnte er Beine und Arme nicht bewegen. Er lag nach einem Sturz während eines Basketball-Bundesligaspiels auf dem Parkett der Berliner Max-Schmeling-Halle, war vom Hals an abwärts gelähmt. Seine Karriere schien zu Ende, sein Leben zerbrochen. Am Tag nach dem Unfall regte sich ein Finger der rechten Hand. Das war ein klitzekleiner Erfolg, gab wahrlich keinen Anlass zu großer Hoffnung. „Es hätte auch so bleiben können“, sagt Walter Schaffartzik, der Klinikdirektor, der Mamic behandelt. Doch die Lähmungen gingen Stück für Stück zurück, die Therapie zeigte Wirkung. Matej Mamic konnte wieder aufstehen, gehen, schreiben. Mittlerweile macht er kleine Übungen mit dem Ball, wirft aus kurzer Distanz, dribbelt. Seine eiserne Disziplin als Profisportler hilft ihm im Reha-Programm.
Mamic schuftet täglich von 7.30 bis 15.30 Uhr mit den Therapeuten. „Einige Menschen sehen nur nach hinten, ich sehe nach vorn“, sagt er. „Wenn ich das nicht tun würde, würde ich nicht solche Fortschritte machen.“ Dem ordnet er alles unter. Er hat sich positives Denken verordnet. Euphorisiert vom recht spektakulären Verlauf der Heilung, spricht der Kroate auch wieder von Profibasketball. Er will zurück. Liebend gern würde er in den Play-offs im Frühjahr spielen. Wenn das nicht klappt, plant er den Wiedereinstieg in der kommenden Saison. Die Basketballfans honorieren Mamic’ Kampfgeist. Sie sind dabei, ihn ins Aufgebot des Allstar-Spiels Ende Januar in Köln zu wählen – eine große Geste, die die Unterstützung widerspiegelt, die Mamic von allen Seiten erhält. Er wird wahrscheinlich nicht zum Treffen der Basketball-Elite fahren. „Wenn ich das Krankenhaus verlasse, verliere ich zwei Tage Reha“, erklärt Mamic. Das Training in der Klinik geht vor.
Klinikdirektor Schaffartzik meint, es stehe „allerbestens“ um seinen prominenten Patienten auf der Station E1. Man müsse ihn oftmals bremsen, weil er zu viel will. „Wir Mediziner sehen Dinge, die der Laie nicht sieht“, sagt er. „Wenn alles in Ordnung wäre, dann würde er ja jetzt schon wieder bei Alba auf der Bank sitzen.“ Im Rückenmark seien noch „zwei deutlich sichtbare Herde“ verblieben, zudem eine Wassereinlagerung. Das Ödem, prognostiziert der Mediziner, werde sich wohl auflösen, bei den Druckstellen sei das fraglich. „Unser Ziel war es, ihn ins normale Leben zurückzuführen – das haben wir geschafft.“ Der Rest sei Bonus, eine Draufgabe, wie auch Mamic weiß.
Bewegen kann sich Mamic ziemlich gut. Etwas wackelig und kraftlos ist der 31-Jährige aber schon noch. Das soll sich bald bessern. Nicht weil es das Ärzteteam voraussagt, sondern weil es Mamic erzwingt. Sein Willen scheint den Fortschritt zu diktieren. „Der grübelt nicht, der fragt sich nur: Was schaffe ich morgen? Er steckt sich täglich neue Ziele“, sagt Schaffartzig. Psychologischen Rat habe er nur in der ersten Woche gebraucht. Danach nicht mehr. Er handelt nach der Devise: „Es ist passiert. Also muss ich positiv denken.“
Der gefallene Riese steht wieder. Aber das reicht ihm nicht. „Wenn ich für das normale Leben wiederhergestellt bin, ist das nicht 100 Prozent“, sagt Mamic. „Ich will zurück zu dem Punkt, an dem ich mich verletzt habe, und das war Basketball.“ Das ist sein Leben. Mamic ist ein Basketballverrückter. Im Krankenhaus sieht er sich alle Spiele von Alba an. Was nicht live im Fernsehen läuft, lässt er sich auf DVD brennen und schaut es auf dem Laptop. „Bei den Live-Spielen bin ich nervös wie ein Fan“, sagt er. „Es ist ganz anders, als selbst auf dem Platz zu stehen.“
Mamic glaubt fest an sein Comeback. Spätestens am 15. Februar will er die Station des Krankenhauses verlassen. Er und seine Familie haben sich ein Appartement in der Nähe der Klinik gesucht. „Ich werde dann morgens hierherkommen, meine Übungen bis 16 Uhr machen und zum Schlafen nach Hause gehen. Mein Leben wird sich in der Klinik abspielen, zu Hause, in der Klinik, zu Hause – und natürlich in der Max-Schmeling-Halle.“ Mamic’ Augen strahlen. „Im September will ich wieder normal spielen. Ich habe ein gutes Gefühl, dass ich das schaffen kann.“ Es ist ein weiter Weg, um auf dem Parkett bestehen zu können. Mamic muss noch viele Defizite aufarbeiten.
Ein kurzfristiges Ziel hat Matej Mamic fest im Blick. Das Spiel von Alba gegen Braunschweig. Am 25. Januar will er sich dem Berliner Publikum präsentieren – in der Schmeling-Halle. Aber noch nicht im Alba-Team, sondern im Publikum. „Wir werden ihm etwas Schweres an die Beine binden müssen, damit er nicht schon einen Dunking macht“, sagt Klinikdirektor Walter Schaffartzik. Sein Patient wird sich davon nicht beeindrucken lassen.