Im Zirkus der unwichtigen Nachrichten

Da sind sie unzufrieden, die deutschen Journalisten. Beate Zschäpe kommt ohne Hand- und Fußfesseln in den Gerichtssaal. Ganz normal sieht sie aus, hat sich einen Anzug angezogen, die Haare gewaschen und weiß sich zu benehmen. Das geht doch nicht. Eine Frau, die über zehn Jahre mit zwei Männern zusammenlebte, die darüber entschieden, wer leben soll und wer nicht, diese Frau soll jetzt bitte öffentlich zusammenbrechen. Denn es fällt ihr bestimmt erst jetzt auf, dass sie Teil eines mörderischen Trios war, und das ist nun mal nichts Gutes.

Doch, klar: Die Presse, die sich über die Morde und den eingewurzelten Rassismus in Deutschland nicht groß und schon gar nicht lange erregen konnte, jetzt aber brav die Fakten repetiert und auch das Behördenversagen beklagt, sie will für ihre Mühen bereits am ersten Prozesstag mit einem Erregungszusammenhang entschädigt werden. Wo bleibt das Spektakel? Reiß dir die Haare raus, Beate, heul uns einen Fluss voll, erzähl uns alle schmutzigen Details, und bitte komm uns nicht mit der Banalität des Bösen. Umsonst. Zschäpe hat ihre Hausaufgaben gemacht – und schweigt. Wenigstens die „Opferfamilien“ könnten jetzt einspringen und das klaffende Gefühlsloch füllen. Aber auch sie bleiben leise. Womit nur noch über die Standardwinkelzüge der Advokaten zu berichten wäre; und die machen „den Jahrhundertprozess“ auch nicht süffiger. Die versuchte Skandalisierung der Vertagung des Prozesses plumpst ins Leere, den Reportern fehlt die Inspiration. KollegInnen, habt ihr Herrn Steinbrück nicht vernommen, nur Leistung zählt. Ein bisschen Eigendynamik bitte, nicht immer auf emotionale Transferleistungen warten!

Zum Beispiel der Guardian, der macht es ordentlich. Anders als der Steinbrück-Kollege Gabriel, der mal wieder in die Vollen greift und von „rechten Szeneanwälten“ fabuliert, weist der Brite mit gebotener Zurückhaltung darauf hin, dass, Vertagung hin oder her, ja noch unterhaltsame Details blieben, etwa die Namen der Verteidigung. Sturm, Heer, Stahl. Besser hätte die Titanic das auch nicht erfinden können. Wobei die ihre Arbeit auch ordentlich macht und für Zschäpe die Zwangsehe mit Erdogan fordert.

Der allerdings hat gerade anderes zu tun. Der bellt Assad, Israel und die UNO an. „Damn your international policies!“, so zitiert hurriyetdailynews.com den türkischen Ministerpräsidenten. Die UNO solle endlich die ethnischen Säuberungen zur Kenntnis nehmen, der diese Woche in Baniah 69 Menschen zum Opfer gefallen seien. Assad sei ein „Schlächter“; und dass Israel jetzt Bomben in der Nähe von Damaskus fallen ließe, liefere just diesem den „silbernen Teller“, um Syrien weiter in Schutt und Asche zu legen. Die wenigsten Türken amüsieren die kräftigen Worte von Erdogan, die Angst, in einen Krieg hineingezogen zu werden, ist zu groß. Aber jetzt gibt es ja schon bald einen runden Tisch, vielleicht schon in diesem Monat, verkünden die Außenminister Russlands und der USA. Sie wollen einen Friedensplan aushandeln. Nach zwei Jahren Aufstand und geschätzten 70.000 Toten könnte das eine gute Nachricht sein, oder? Einfach würde das aber nicht. Sogleich werden die Erwartungen an das selten gesehene diplomatische Engagement gedämpft. Russland zumal, wie wiederum die FAZ länglich zitiert, habe große Bedenken, dass die Rebellen den Konflikt eskalieren ließen und gar die Macht in Syrien anstrebten. Das wird als Neuigkeit verkauft. Ein Analyse amerikanischer Außenpolitik – und auf sie kommt es an – entfällt. News first.

24 Stunden später berichtet das Wall Street Journal vom Flugabwehrsystem, das schon bald in Syrien eintreffen könnte. Russischer Export, versteht sich. Die wolkigen Hoffnungen auf einen fixen Luftkrieg – schon wieder geplatzt. China streckt jetzt übrigens auch einen Zeh in die Nahostpolitik und hat Abbas und Netanjahu hintereinanderweg in Peking empfangen. Das Palästinenserproblem sei ein großes, sagt Präsident Xi, und Netanjahu lobt den mittlerweile blühenden Handel mit der Großmacht.

Und an der Geschlechterfront? Schäuble treibt die Konservativen tiefer in die Identitätskrise und fordert das Ehegattensplitting für alle, die Verantwortung für Kinder übernehmen, Homos inklusive. Familie ist dort, wo Kinder sind – hoppla, das steht im Wahlprogramm der Grünen. Egal. Wahlkampf ist Wahlkampf. Und wer es noch nicht gemacht hat, es ist immer noch Zeit, das neu erschienene Buch von Naomi Wolf diskret zu entsorgen. Der Vagina-Unfug ist selbst infotainmentgestählten LeserInnen nicht zuzumuten. Und da schon nächste Woche Deutschlands Gerichtsreporter ihre Rollkoffer erneut über Münchens Pflaster ziehen werden, naht ja schon der nächste Höhepunkt im Zirkus der unwichtigen Nachrichten.

INES KAPPERT