Lafontaine sagt, was links ist

Mit seiner Grundsatzrede auf der Klausurtagung der Linkspartei zieht der Fraktionschef eine rote Linie für mögliche Regierungsbeteiligungen. Die Partei profiliert sich als Opposition und fordert einen Mindestlohn von acht Euro pro Stunde

AUS MAGDEBURG JENS KÖNIG

Wenn die Bundestagsfraktion der Linkspartei zusammenkommt, ist jedes ihrer Treffen noch immer ein einziges großes Kennenlernen. Biografien, politische Standpunkte, persönliche Macken – die 54 Abgeordneten erfahren voneinander Dinge, von denen sie vor einem halben Jahr, als die Zukunft einer gemeinsamen linken Partei in den Sternen stand, noch nicht einmal wussten, dass sie sie jemals interessieren würden.

Und so ähnelt auch die dreitägige Klausurtagung der Fraktion am Rande von Magdeburg dem Ausflug einer neuen Abiturklasse. Alle sind neugierig und ein bisschen aufgedreht. Am Tage wird wie wild politisch diskutiert, und an den Abenden im Hotelrestaurant mischt sich die Zusammensetzung an den Tischen immer wieder neu, einige spielen Skat, andere erzählen sich gegenseitig ihre Lebensgeschichten.

Das hat sogar den Routiniers gefallen. „Meine Liebe zu Klausurtagungen ist ja begrenzt“, räumt Fraktionschef Gregor Gysi ein. „Aber diese Klausur war angenehmer als vergleichbare Treffen früher, emotionaler. Und die inhaltlichen Debatten gingen tiefer.“ Sogar dem Weltökonomen Oskar Lafontaine ist in Magdeburg nicht langweilig geworden. Er bekennt freimütig, dass er die Diskussionen in der Linksfraktion interessanter findet als früher die Debatten in der SPD. Mit einem Völkerrechtsprofessor wie Norman Paech, einem Wirtschaftsprofessor wie Herbert Schui oder einem Exbundesrichter wie Wolfgang Neskovic lasse sich fachlich eben auf einem ganz anderen Niveau reden als mit den klassischen Politikertypen, sagt Lafontaine.

Aber bei aller Klassenfahrtatmosphäre, im Zentrum der Klausur stand die Frage, was die zusammengewürfelte Linksfraktion aus PDS- und WASG-Mitgliedern politisch eigentlich will – außer heroisch gegen den Neoliberalismus zu kämpfen. So hat sie ihren Arbeitsplan 2006 beraten und erste konkrete Gesetzesinitiativen beschlossen. Die Fraktion fordert umgehend die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland in Höhe von acht Euro brutto pro Stunde. Weil eine solche Forderung gerade in strukturschwachen Regionen wie Ostdeutschland nicht überall auf Begeisterung stößt, wird die Bundesregierung aufgefordert, befristete Ausgleichsmaßnahmen für kleine und mittlere Unternehmen zu prüfen, die in einem Übergangszeitraum nicht in der Lage sind, den Mindestlohn zu zahlen.

Außerdem hat die Fraktion einen Antrag zur grundlegenden Korrektur von Hartz IV diskutiert. Details sind noch offen. Und schließlich arbeitet sie an einem eigenen Konzept zur Gesundheitsreform. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen: Die einseitigen Belastungen der Patienten zurückzuführen, also die Praxisgebühr abschaffen und die Zuzahlungen zu Arzneimitteln streichen. Die Finanzierung des Ganzen? Völlig offen.

Aber was sind solche populären Forderungen einer kleinen Oppositionspartei angesichts einer großen Koalition schon wert? In der Praxis nicht viel, obwohl Gysi zu erkennen glaubt, dass allein die Existenz der Linkspartei eine „Verschiebung des neoliberalen Zeitgeistes, auch in den Medien“ bewirkt habe. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, was sich am leichtesten daran ablesen lässt, dass inzwischen selbst Angela Merkel über einen Mindestlohn nachdenkt. Diese Veränderung der politischen Landschaft erhöht wiederum den Druck auf die Linkspartei, ihre Forderungen finanziell seriös zu untermauern – und die Frage zu beantworten, ob sie gegebenenfalls mit der SPD oder den Grünen regieren würden.

Fraktionschef Oskar Lafontaine übernahm in Magdeburg den Part, sich mit dieser Gretchenfrage der Linkspartei grundsätzlich auseinander zu setzen. In seinem Referat versuchte er zu definieren, was linke Politik in Deutschland eigentlich ausmacht. Lafontaine nannte drei Eckpunkte: keine Beteiligung an sozialer Umverteilung von oben nach unten, also beispielsweise durch Steuererleichterungen für Vermögende oder große Unternehmen; keine Zustimmung zu völkerrechtswidrigen Kriegen; keine Unterstützung bei der Privatisierung von Gütern der öffentlichen Daseinsvorsorge wie etwa Wasserbetriebe, Wohnungsbaugesellschaften oder Krankenhäuser.

Das kann man getrost als rote Linie für mögliche Regierungsbeteiligungen der Linkspartei lesen. Lafontaine selbst bezeichnete seine Rede als „Leitlinien für die Zukunft“.

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