: Sudans Präsident Bashir droht Prozess wegen Völkermord
STRAFGERICHTSHOF Berufungskammer in Den Haag: Haftbefehl von 2009 wegen Darfur war zu restriktiv
BERLIN taz | Sudans Präsident Omar Hassan al-Bashir wird eventuell doch noch wegen Völkermord in Darfur angeklagt. Die Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag gab gestern einem Antrag des Chefanklägers Luis Moreno Ocampo statt, den geltenden Haftbefehl gegen den sudanesischen Staatschef an die zuständige Kammer zurückzuverweisen, um eine Erweiterung auf den Tatbestand des Völkermords zu prüfen.
Der Strafgerichtshof hatte am 4. März 2009 Haftbefehl gegen Bashir wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Darfur erlassen. In Einzelnen ging es um Mord, Auslöschung, Zwangsumsiedlung, Folter, Vergewaltigung, Angriffe auf die Zivilbevölkerung und Plünderung. Dies habe Bashir als Oberkommandierender des Feldzugs von Regierungstruppen und verbündeten Milizen gegen Rebellen in Darfur ab 2003 verantwortet. In der westsudanesischen Region sind infolge des Krieges mehrere hunderttausend Menschen ums Leben gekommen.
Moreno Ocampos zentralen Haftantragspunkt des Völkermords hatten die Richter der Ersten Strafkammer nicht aufrechterhalten, weil sie im Antrag des Chefanklägers keine ausreichenden Beweise für eine „spezifische Intention zur kompletten und teilweisen Zerstörung der Volksgruppen der Gur, Massalit und Zaghawa“ erkannten. Dagegen hatte der Chefankläger Widerspruch eingelegt.
Die Berufungskammer befand nun, die Richter von 2009 hätten eine zu hohe Beweislast verlangt. Sie hätten die Hürde für den Haftgrund „Völkermord“ so definiert, dass die Intention zum Genozid die einzig mögliche Interpretation der relevanten Beweismittel sei, und die Anklage abgelehnt, weil es mehrere mögliche Interpretationen gebe. Die Berufungskammer verweist auf Paragraf 58 des Römer Statuts des Strafgerichtshofs, wonach Haftbefehl ergehen kann, wenn „begründeter Verdacht besteht, dass die Person ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen begangen hat“. Verdacht auf Völkermord sei auch dann begründet, wenn dieser Verdacht eine von mehreren Möglichkeiten sei. Ob der Verdacht tatsächlich zutreffe oder nicht, könne erst im Prozess selbst geklärt werden, nicht schon bei der Ausstellung eines Haftbefehls. Daher war die Ablehnung des Haftgrunds „Völkermord“ im März 2009 falsch.
So muss die zuständige Kammer wohl bald den geltenden Haftbefehl gegen Bashir auf Völkermord ausweiten. Dies dürfte die internationale Diskussion darüber, warum niemand den Haftbefehl vollstreckt, neu entfachen – kurz vor den Wahlen im Sudan im kommenden April, bei denen Bashir kandidiert und voraussichtlich gewinnen wird, und deren Ablauf UN-Truppen in Darfur und Südsudan sichern werden. DOMINIC JOHNSON