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: Zauberhafte Dialoge: Haruki Murakamis neuer Roman „Afterdark“

Es wurde schon viel nachgedacht und geschrieben über den so genannten Kultautor Haruki Murakami. Zur Abwechslung könnte man sich da in seinem neuen Besteller deshalb mal die Dialoge ansehen. Denn wie in vielen Büchern des japanischen Schriftstellers, deren eventuelles Ende man genauso fürchtet wie das unwahrscheinliche Abschiedskonzert einer Lieblingsband, sind die Dialoge besonders wichtig.

Wie üblich sind sie auch besonders lang, die Dialoge in „Afterdark“, das kein Roman ist, sondern eine Art Drehbuch einer Nacht in Tokio, in der alle vor allem sehr allein zu sein scheinen. Es beginnt gleich mit dem Gespräch zwischen Mari, die nicht nach Hause will, und Takahashi, der unterwegs zu einer Bandprobe ist. Diese Unterhaltung geht über sechzehn Seiten, und trotzdem weiß man am Ende kaum, was die beiden besprochen haben. Sie reden über dies und das, erzählen elegant an diesem und jenem vorbei, kommen vom Hundertsten ins Tausendste, und man ist trotzdem keine Sekunde gelangweilt.

Woran das liegt? Wahrscheinlich liegt es an der Lässigkeit der Gesprächspartner, daran, dass man wohl genauso redet, wenn man nachts um drei einsam und verlassen im Neonlicht eines Fastfoodrestaurants ein dickes Buch zu lesen versucht. Oder wenn man, aus der Sicht des Jungen, einen Draht zu einem Mädchen will, das wie immer bei Murakami ein bisschen schneller und schlauer ist als man selbst und das sich zunächst scheinbar viel lieber in dieses Buch vertiefen würde, als sich mit dir zu unterhalten.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es wie immer in Haruki Murakamis Büchern gar nicht um gar nichts geht und dass es deshalb umso eleganter wirkt, so zu tun, als ob nichts sei. Die 19-jährige Mari sitzt nicht umsonst nachts um drei in einem Fastfoodrestaurant. Es stellt sich heraus, dass sie vor allem wegen ihrer wunderschönen Schwester so traurig ist. Obwohl sie kein besonderes Verhältnis zu ihr hat, obwohl diese mehr geliebt wurde als Mari, kommt Mari nicht damit klar, dass ihre Schwester seit Tagen einfach in ihrem Bett liegt und nicht mehr aufsteht.

Wie bei Murakami üblich schwankt die Grenze zwischen der Wirklichkeit und der anderen Seite, der unerklärlichen, der unkontrollierbaren. In dieser bedrohlichen Lage den Humor zu bewahren, sich auf jemanden einzulassen und mit dieser Person über banale Dinge wie einen Hühnchensalat, streunende Katzen oder Hollywood-Schmonzetten zu plaudern: das ist es, was die Dialoge bei Haruki Murakami so zauberhaft macht. Deshalb freut man sich so, als Takahashi, der Mari gerade von seiner toten Mutter erzählt hat, zu ihr sagt: „Ich denke das Gleiche wie du. Aber heute geht es nicht, ich hab meine gute Unterwäsche nicht an“ – und dass er natürlich abblitzt.

Das kommt beinahe einer der wunderbarsten Stellen aus „Naokos Lächeln“ nahe, dem schönsten Buch von Murakami, als sich Midori und Toru zum ersten Mal gemeinsam betrinken. Die beiden mögen sich, können sich aber gerade nicht verlieben. Da sagt Midori zu Toru: „Wenn du mich irgendwohin mitnehmen würdest, ganz weit weg, würde ich dir eine Menge Babys schenken, stark wie kleine Stiere. Und wir würden uns alle zusammen vor Vergnügen auf dem Boden wälzen.“

Es sind die Dialoge in „Afterdark“, die einen darüber hinwegtrösten, dass das neue Buch von Haruki Murakami außerhalb dieser Dialoge manchmal eher wie eine Stilübung wirkt, die nicht ganz so gelungen ist wie viele andere seiner Bücher. Dass er die Idee, einen Erzähler wie eine versteckte Kamera zu installieren, doch besser hätte verwerfen sollen. Dass einem so, aus dieser distanzierten Perspektive, seine gewohnt durchschnittlichen und sympathischen Helden nicht so bedingungslos ans Herz wachsen wie sonst.

SUSANNE MESSMER

Haruki Murakami: „Afterdark“. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Dumont, Köln 2005, 237 S., 19,90 Euro