piwik no script img

Archiv-Artikel

Groteske Zerklüftungen

Minimalistisch und dicht: Frank Abts „Familienleben“, komponiert aus Stücken von Lothar Trolle und Ingeborg Bachmann, befördert am Thalia in der Gaußstraße finstere Zustände an die Oberfläche

von Katrin Jäger

Die Bühne ist klein, die Decke niedrig, irgendein Stauraum des Thalia Theaters in der Gaußstraße. Genau richtig für das Stück Familienleben, das dort derzeit gespielt wird. Klaustrophobisch, kalt auch, trotz oder wegen des roten PVC-Fußbodenbelags, der in den Boden eingelassenen Badewanne, dem spärlich ausgestatteten Küchenregal.

Rot dominiert die Ausstattung von Sophie Domenz, rot wie das Blut, das fließt, wenn die namenlose Heimarbeiterin (Pia Hansen) in dieser ihrer unwirtlichen Pankower Einraum-Wohnung ihr Kind verliert. Das Blut, es fließt in der Phantasie des Zuschauers, während die junge Schauspielerin lediglich ein giftgrünes Plastiknetz unter ihrem rosa Schlafanzugoberteil hervorzieht, Symbol für die Totgeburt.

Ein schmaler, mit Strandsand bedeckter Steg führt an der Wand entlang nach hinten. Parallel zu den Zuschauerreihen sitzt dort auf einem alten Gartenstuhl Maximilian Grill. Er erzählt Die Heimarbeiterin, die kurze Geschichte von Lothar Toller. Ohne Pathos, schlicht, wie eine Gute-Nacht-Geschichte serviert Grill all dies, darin besteht die Groteske. Die Heimarbeiterin stopft den toten Fötus in eine Plastiktüte und trägt ihn in den Park. Pia Hansen deutet die Handlung nur an, geht von der kahlen Küche hinaus auf den Steg. Die minimalistische Gestik unterstreicht im Wesentlichen die Atmosphäre der Aussichtslosigkeit. Zwischen gelesenem Text und dem angedeuteten Spiel entsteht so die notwendige Lücke, die die Phantasie anregt. Mutig verzichtet diese Inszenierung auf Requisiten, ihre Stärke liegt in Andeutungen.

Noch mehr Text, noch weniger Spiel gönnt der Regisseur Frank Abt seinen beiden DarstellerInnen im zweiten Teil von Familienleben. Fast unbemerkt rutscht die Inszenierung von Trolles Heimarbeiterin in Alles von Ingeborg Bachmann. Während Maximilian Grill den langen inneren Monolog des unzufriedenen jungen Vaters spricht, steht Pia Hansen alias Ehefrau Hanna einfach da. Geknickt, distanziert. Sie, so erzählt der Vater, sorgt für das Neugeborene. Während er sich darüber den Kopf zerbricht, wie dem Kind eine neue Sprache und somit eine neue Weltordnung anzuerziehen sei, eine die nicht vom Bösen infiltriert ist. Ein Versuch, der tödlich misslingt.

Grill erzählt auch diesen langen, vielschichtigen Text in gleichmütigem Ton. Seine Stimme bindet. Gleichwohl fehlt der Interpretation an einigen Punkten ein Hauch emotionaler Variation. Doch diese kleine Schwäche verträgt die Bachmann‘sche Dichtung.

Familienleben konfrontiert mit finsteren Zuständen. Zum Schluss gehen einfach die Lichter aus.

Weitere Aufführungen: 27.1., 19.2. jeweils 19.30 Uhr sowie am 23.2. um 20 Uhr am Thalia in der Gaußstraße