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Archiv-Artikel

„Dem Grüffelo fehlt die Tiefe“

VORTRAG Ein Bilderbuchforscher erklärt, was ein gutes Buch für Kleine und Große ausmacht

Von eib
Jochen Hering

■ 62, ist Professor für Literatur und Mediendidaktik und beim Bremer Institut für Bilderbuch und Erzählforschung

taz: Woran erkenne ich ein gutes Bilderbuch, Herr Hering?

Jochen Hering: Ich würde erst mal ein schlechtes Bilderbuch definieren. Das nenne ich die „Wichtel-Literatur“, wo jemand auf den Flohmarkt geht oder badet und alle freuen sich.

Aber Kinder stehen drauf.

Nach meiner Erfahrung nicht. Das Interesse erlischt schnell und sie gehen zum nächsten über. Das Problem ist, dass es nach Pisa eine Haltung unter Erwachsenen gibt: „Hauptsache, das Kind liest überhaupt. Was, ist egal.“

Ist es das nicht?

Nein, so erfährt es Literatur nicht als Gesprächspartner, in der es sich auch mit seinen Ängsten und Wünschen wiederfindet, und wendet sich ab. Gute Bilderbücher müssen etwas zu sagen haben. Und sie sollten mehrdeutig sein. Schrecklich sind Bücher wie der Regenbogenfisch, in denen der Böse am Ende alles einsieht und sich bekehrt.

Ein gutes Bilderbuch muss auch Eltern ansprechen, oder?

Unbedingt. Im besten Fall bieten sie den Erwachsenen die Möglichkeit, über ihr eigenes Verhalten nachzudenken.

Haben Sie ein aktuelles Lieblingsbuch, das all dies einlöst?

Ich mag sehr „Pauls Glück“. Es geht um einen Raben mit Stummelflügeln, der als Pinguin beschimpft wird und sich das dann zu eigen macht. Er kann nämlich, wie sich herausstellt, tauchen.

Friede, Freude, Eierkuchen?

Nein gar nicht. Er trifft eine Katze, in einer bedrohlichen Situation, und kann sie dann umstimmen. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach einem Zoo, wo er als Pinguin leben kann. Außerdem ist es sehr schön gezeichnet.

Was man von Bestsellern wie dem Grüffelo nicht behaupten kann.

Stimmt, bei den Grüffelo-Bildern hat man sofort alles erfasst, da fehlt die Tiefe. Die Geschichten finde ich ganz in Ordnung, aber wenn das Buch zu Ende ist, dann kommt auch nichts mehr. Hervorragende Bilderbücher gehen im Kopf weiter.  Interview: eib

Vortrag: 19 Uhr, Zentralbibliothek