: „Wir sollten froh sein, dass Gott tot ist“
KUNSTFÖRDERUNG In Holland erhalten viele Kulturprojekte kein Geld mehr. Die Gruppe De Warme Winkel, die ins HAU kommt, beschäftigt sich mit Perspektiven des Überlebens. Vincent Rietveld ist dort Schauspieler
■ De Warme Winkel (Dt.: Der heiße Laden) ist ein 2002 gegründetes Theaterkollektiv in Amsterdam. Zum Repertoire gehören sogenannte Oeuvre-Stücke über literarische Persönlichkeiten genauso wie Interventionsstücke zu gesellschaftlichen Themen. Niederländische Presse und Zuschauer sind begeistert, selbst wenn es in den Aufführungen um Scheitern und mangelnde Geldflüsse geht.
■ Vincent Rietveld ist Mitbegründer, Schauspieler und wie alle Mitglieder des Kollektivs auch Artistic Director der Gruppe.
■ Mit „San Francisco“ kommt ein Teil der Gruppe nun ins HAU. Es erzählt von einer Theatergruppe, der das Geld ausgegangen ist und die ihr Stück nicht aufführen kann. HAU 3, 14.–17. Mai, 20 Uhr
VON ASTRID KAMINSKI
taz: Herr Rietveld, Sie sind zurzeit viel im Paradies unterwegs. Wie ist es da?
Vincent Rietveld: Nervenaufreibend! Das Paradies braucht jede Menge Zuwendung.
Wie kann man es sich vorstellen? Als Ort, wo Milch und Honig fließen? Oder hängt es voller Tomaten?
Unser Paradies ist ein Garten, der uns hoffentlich durch das kommende dunkle Zeitalter helfen wird.
Es sprießt und gedeiht dort also prächtig?
Na ja. Wir stehen noch am Anfang unserer Entwicklung als Gärtner. Und ich bin der Einzige, der ein bisschen Grundlagenwissen hat, weil ich auf einer Farm aufgewachsen bin. Zwar erinnere ich mich an erschreckend wenig landwirtschaftliches Wissen, aber immerhin bewahrte mich die Erfahrung vor der Vorstellung, wir würden nach zwei Monaten Gartenarbeit schon in einem Dschungel leben.
Lassen Sie uns die Sache erklären. „Paradijs“ ist der Titel des aktuellen Stücks von De Warme Winkel.
Und es ist außerdem ein Indoor-Garten. Die Hypothese des Stücks ist, dass der Garten eine Antwort auf alles ist: Gemeinschaftsverlust, Gesundheits-, Nahrungsprobleme, Klimawandel, die Nutzung von Immobilienbrachen.
Klingt naiv.
Natürlich. Mit so einer Hypothese kann man nur enttäuscht werden. Außerdem haben wir allein 4.000 Euro für künstliches Licht ausgegeben. Das ist verrückt. Aber diese Art von Scheitern ist einkalkuliert, denn es geht uns darum, einen Raum zu schaffen, in dem wir uns den riesigen ökologischen Problemen der Zukunft stellen und uns mit den Themen, auf die wir keine Antwort haben und vor denen wir darum immerzu flüchten, konfrontieren.
Gartenprojekte gibt es in deutschen Großstädten jede Menge.
In Amsterdam gibt es auch sehr viele solcher Projekte. Sie sind aber eher hobbymäßig oder als Erholungsmodelle ausgelegt und landwirtschaftlich und ökonomisch nicht bedeutend. Aber uns geht es dabei um die Frage, wie wir leben wollen. In „Paradijs“ ist es auch die Frage, wie wir mit den Wesen, die wir essen, zusammenleben.
Also handelt es sich nicht um ein Selbstversorgerprojekt im Fall von ausbleibenden Kunstsubventionen?
Wir sind erstaunlicherweise die einzige freie Gruppe, die ich in meinem Umkreis kenne, der es gut geht.
Der 2012 in Rente gegangene Direktor des niederländischen Fond Podiumkunsten schrieb auf dem Blog der Website, dass die letzten fünf Jahre seines Arbeitslebens die schwierigsten überhaupt gewesen seien. Was ist in dieser Zeit mit der Kunstförderung passiert?
Es war eine katastrophale Zeit. Durch die rechte Regierung, das heißt die indirekte Regierungsbeteiligung von Geert Wilders, wurden fast zwei Drittel der Fördermittel für die freie Szene gestrichen. Ganze Infrastrukturen von Probelokalitäten und freien Theatern brachen zusammen, manche Gruppen mussten aufgeben. Mit uns ist es dagegen eine ganz andere Geschichte. Wir haben in den letzten Jahren den Durchbruch geschafft und sind in die Förderung gerutscht. Das liegt wohl vor allem an unseren wachsenden Publikumszahlen. Früher haben wir ohne jegliche Unterstützung gearbeitet. So waren wir auf einen intensiven Kontakt mit dem Publikum angewiesen.
Sie zeigen in Berlin Ihr Krisenstück „San Francisco“, das Sie ohne Subventionen gemacht haben. Es ist ein Stück über ein Stück, das Sie hätten machen wollen.
So ungefähr. Nur dass die Subventionslosigkeit eine Fiktion ist.
Das bringt mich ein bisschen aus dem Konzept. Haben Sie nicht in Amsterdam in einem besetzten Gebäude gespielt, weil Sie keine Mittel hatten?
Das gehört ja zur Fiktion. Wir setzen am tiefsten Punkt an: Wir können uns kein Theater leisten, wir haben kein Geld, wir spielen also in einem leeren Raum ohne jegliche Requisiten … Aber das Reale daran ist, dass wir, De Warme Winkel, behaupten, den Leuten tatsächlich einen Weg aus der Krise zu zeigen.
Der Fernsehkoch Herman den Blijker soll im Dialog des Stücks auch seinen Beitrag dazu leisten. Haben Sie eine besondere Beziehung zu ihm?
Meine Kollegin Mara bringt dauernd Fernsehleute in unsere Stücke. Ich habe die meistens noch nie in echt gesehen. Herman den Blijker bekommt einen Auftritt, um Tulpenzwiebeln zuzubereiten – das war das Essen, das viele Niederländer in den Jahren 1944/45 aßen. Auch das ist Teil unserer Nullsituation. Wie macht man aus nichts etwas?
Gibt es eigentlich etwas aus unserer kriselnden Gesellschaft, das Sie mit ins Paradies nehmen würden?
Verantwortung. Eigentlich sollten wir froh sein, dass Gott tot ist und nicht mehr die Verantwortung für uns trägt wie für Adam und Eva. Wir sind selbst verantwortlich für den Planeten und seine künftigen Wesen. Das ist die Grundlage für ein sogar noch viel besseres Paradies als das von Gott erfundene.