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Archiv-Artikel

Angelinas Entscheidung

PROPHYLAXE Wer mit Brustkrebs bisher nicht konfrontiert war, konnte es für einen schlechten Scherz halten. Doch es ist wahr: Die Schauspielerin Angelina Jolie hat sich die Brüste amputieren lassen, vorsorglich. Unsere Autorinnen Marlene Staib und Jenni Zylka nähern sich dem Thema – persönlich und analytisch

Rachel hat sich die Brüste rausoperieren lassen“, sagte mir meine Freundin Lisa (Name geändert). Rachel: Lisas Freundin aus Kalifornien, die für eine Weile bei uns in Deutschland zu Besuch war. Die lustige, aufgedrehte Rachel, die mit uns Tequila trank und über sexuelle Vorlieben von deutschen Jungs reden wollte – oder die auf dem Sofa saß und in einer Stunde ein ganzes Buch las, während wir anderen uns unterhielten. „Sie hat ein Brustkrebs-Gen, deswegen“, erklärte mir Lisa.

Klang erst mal ziemlich verrückt. Oder, wie Rachels Bruder zu ihr sagte, „fucked up“: „Das zu tun, oder es nicht zu tun, sind beides große Entscheidungen. Das eine ist möglicherweise verhängnisvoll, das andere nur abgefuckt. Du hast dich für abgefuckt entschieden, was offensichtlich die richtige Wahl ist.“ Das und alles andere, was mit ihrer Brustamputation zu tun hat, teilt Rachel auf ihrem Blog, den ich seither verfolge. Heute lautet ihr Facebook-Status: „Danke, Angelina Jolie, dass du mit der Entscheidung für prophylaktische Brustamputation an die Öffentlichkeit gehst. Wenn es nur einer Frau etwas nutzt, deine Geschichte zu lesen, dann hast du etwas verändert.“

Die Frage, die sich vermutlich jede(r) als erstes stellt, liegt auf der Hand: „Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass du Krebs bekommen wirst?“ Rachels Geschichte beginnt mit einer Frage, die dieser noch vorausgeht: Würdest du es überhaupt wissen wollen? Die Frage stellte sich ihr, nachdem bei ihrer Mutter, die bereits zum zweiten Mal Brustkrebs überlebt hatte, das Brustkrebs-Gen BRCA (auf Englisch: BReast CAncer) entdeckt wurde. Wissen ist besser als nicht wissen, entschied Rachel und ließ sich testen. Ich bewundere diese geradlinige Haltung, die sie letztlich zu der Entscheidung führte, sich mit 21 die Brüste amputieren und durch Implantate ersetzen zu lassen. Ich weiß nicht, ob ich genauso gehandelt hätte. Aber ich habe meinen Frauenarzt darauf angesprochen. Ich gehöre durch meine Familiengeschichte zur Risiko-Gruppe. „Seien Sie froh, dass wir das bei Ihnen nicht testen können. Sonst würden Sie sich am Ende noch die Brüste amputieren lassen!“

Enttäuschung und Wut waren Rachels erste Reaktionen, als sie herausfand, dass sie mit bis zu 87-prozentiger Wahrscheinlichkeit bis zu ihrem 70. Lebensjahr an Brustkrebs erkranken würde: „Ich fühlte mich verraten! Meine Beziehung zu meinem Körper war nie perfekt gewesen. Aber seit ich am College war, fühlte ich mich endlich wohl damit, ich zu sein.“ Und dann: Wumm – Krebs! Rachel hätte warten können, regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung gehen – das weiß sie. Aber sie wollte die Operation lieber jetzt, nicht als berufstätige Frau; nicht als Mutter, deren Kinder unter Mamas Krankheit leiden. Jetzt. MARLENE STAIB

Rachels Blog: tickingtimebombsblog.com/

Wer auch immer sich in Zukunft „Tomb Raider“ anschaut – in dem Angelina Jolie die aus dem Computerspiel gleichen Namens stammende Artefaktesammlerin Lara Croft spielte –, wird beim Anblick von Jolies barbiegleicher Adventure-Game-Figurine an diese Geschichte denken. Das hat die Schauspielerin erreicht: Auch ihr durch seine Perfektion stets künstlich wirkender Körper ist von nun an mehr als eine Projektion landläufiger Idealvorstellungen von Schönheit und Sex-Appeal. Sie hat mit dem Öffentlichmachen ihrer sehr persönlichen Entscheidung zudem mehrere private Fakten offenbart:

1. Jolie glaubt an die Schulmedizin und stellt deren Erkenntnisse über die Gefahr einer prophylaktischen Operation.

2. Jolie ist, so steht es in ihrem Bericht in der New York Times, durch den frühen Verlust ihrer Mutter und durch ihre eigene Mutterrolle in ihrer Entscheidung bestärkt worden.

3. Jolie hat keine Angst vor den Diskussionen, Fragen und Blicken, die diese Entscheidung für sie zur Folge haben wird. Sie hat sich mit besten Absichten und ihrer Überzeugung gemäß dafür ausgesprochen, ihren Körper gleich einem physischen Argument einzusetzen – obwohl sie ihn wegen seiner berufsbedingten öffentlichen Sichtbarkeit bewusster schützen muss als andere Menschen den ihren.

Denn dass die Vorstellung, Jolie habe sich beide Brüste amputieren lassen, so schockierend klingt, liegt natürlich auch an ihrem Erscheinungsbild: Als die Moderatorin und Ozzy-Osbourne-Ehefrau Sharon, die sich in der MTV-Reality-Soap „The Osbournes“ vor 10 Jahren freiwillig bis ins Privatleben verfolgen ließ, die gleiche Operation hatte vornehmen lassen, bewies da weitaus weniger Durchschlagskraft. Jolie arbeitet – im Gegensatz zu Osbourne – mit ihrem Körper, als Schauspielerin, die kaum Rollen spielte (oder angeboten bekam?), in der sie nicht perfekt aussieht, und als eines der beliebtesten Paparazzi- und Roter-Teppich-Motive.

Dieser ganze, flache, glamouröse Showeffekt wird bei Jolie in Zukunft mit dem Thema Brustkrebs verknüpft sein, wird jedeN BetrachterIn zu eigenen Überlegungen, Abwägungen und eventuell Recherchen anregen, und kann auch eine Auswirkung auf die gesundheitspolitischen Aspekte (Kosten der genetischen Untersuchung, Forschungsintensität) haben. Dafür kann man Jolie dankbar sein.

Die Schauspielerin, die seit Jahren unter anderem durch auffällige Tätowierungen eine besondere, vielleicht sogar eine einst schwierige Beziehung zu ihrem Körper verrät, hat diesen nun zur Diskussion gestellt. Ob und welche Konsequenzen das für einen persönlich hat, das muss man selbst entscheiden.

JENNI ZYLKA

Ein Interview zum Thema auf taz.de/Leben-mit-der-Gen-Diagnose/!115521/