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Archiv-Artikel

Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit

Mit den Einnahmen aus dem Erdgasverkauf zahlt Russland seine Auslandsschulden – auch bei Deutschland. Begonnen hat die intensive Zusammenarbeit bereits mit Helmut Kohl

BERLIN/MOSKAU taz ■ Dass Gerhard Schröder Deutschland von russischem Erdgas so abhängig gemacht haben könnte wie einen Drogensüchtigen von seinem Dealer, diese Möglichkeit schwante der deutschen Öffentlichkeit erst angesichts der persönlichen Liaison des ehemaligen Kanzlers mit der Firma Gasprom. Tatsächlich wurde aber die enge deutsch-russische Zusammenarbeit auf dem Energiesektor schon vor fast 20 Jahren eingeleitet und beruht im Wesentlichen auf CDU-Architektur.

Schon als Kanzler Kohl 1988 den KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow in Moskau besuchte, flogen in seinem Tross vier Spitzenmanager der Firma Siemens mit. Sie unterzeichneten in der UdSSR-Hauptstadt einen Vertrag über Planung und Bau von Hochtemperaturreaktoren kleiner Leistung (Modul-HTR). Ausgehandelt hatten ihn die Asea Brown Boveri AG (ABB) Mannheim und der Unternehmensbereich KWU der Siemens AG Erlangen mit der sowjetischen Hauptverwaltung für Atomenergie (Glawatom Energo). Die deutschen Manager hofften dabei, die daheim unerwünschte Nukleartechnik könne in Russland erst einmal überwintern und weiterentwickelt werden, bis sich die Atomkraftgegner in Deutschland wieder beruhigt hätten.

In den Jahren nach der Wende entwickelte sich dann zielstrebig die Zusammenarbeit zwischen deutschen Firmen wie Ruhrgas und der Gasprom. Dass ausgerechnet der Überdruss am russischen Gas Teile der deutschen Öffentlichkeit heute wieder nach Atomkraft rufen lässt, war dabei ein eher unbeabsichtigter Nebeneffekt.

Gegenwärtig werden 30 bis 40 Prozent des deutschen Energieverbrauchs durch russisches Erdöl und Erdgas gedeckt. Deutschland seinerseits ist seit 1997 Russlands wichtigster Handelspartner. 2004 erreichte der deutsch-russische Warenaustausch einen Umfang von rund 31 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr 2005 wuchs er um 30 Prozent dank der steigenden Öl- und Gaspreise auf dem Weltmarkt. Bei den Ausfuhren aus Russland nach Deutschland dominieren nämlich Erdöl und Gas mit fast 71 Prozent.

Mit den Gewinnen daraus – sofern sie nicht auf die Privatkonten von Spitzenmanagern fließen – saniert der russische Staat seinen Haushalt und bezahlt seine Auslandsschulden. Zum Beispiel bekam Deutschland im Frühjahr 2005 von seinen Außenständen gegenüber der Russischen Föderation fünf Milliarden Euro vorzeitig beglichen.

Dank zügiger Schuldentilgung braucht die russische Regierung heute nicht mehr Einmischungen seitens des Internationalen Währungsfonds zu befürchten, der noch bis in die zweite Hälfte der 90er-Jahre hinein seine Nase in alle möglichen Angelegenheiten des Landes steckte. Den Erdöl- und Erdgasexporten nach Deutschland verdankt die Putin-Regierung zu einem guten Teil die unangefochtene Herrschaft im Inneren sowie souveränes Auftreten in Kreisen der internationalen Gemeinschaft.

Es ist also durchaus nicht klar, wer momentan in der Energiefrage von wem abhängig ist. Die Ausfuhr der gleichen Öl- oder Gasmengen aus der Russischen Föderation etwa in die USA oder nach China würde teure Verschiffungen voraussetzen, oder aber den aufwändigen Bau von Pipelines, die sich erst in Jahren auszahlen würden.

Doch wenn es schon um Abhängigkeit geht: Für die deutschen Produzenten bilden die 143 Millionen EinwohnerInnen des riesigen Landes eine einfach unschlagbare Alternative zum eigenen, kaufunwilligen Volke. Allein 2004 wuchs der Export deutscher Güter nach Russland im Vergleich zum Vorjahr um 24 Prozent, es handelt sich dabei vor allem um Maschinen, Autos, Lebensmittel, chemische und elektronische Erzeugnisse. In Russland tummeln sich etwa 3.500 deutsche Unternehmen. Investiert wurden dort seitens der deutschen Wirtschaft im vorletzten Jahr 2,6 Milliarden US-Dollar. Die Nase ganz vorn hat dabei die lebensmittelverwertende Industrie – deutsche Markenjoghurte oder deutsche Wurstwaren, in Russland produziert, gehören heute in jeden Supermarkt dieses Landes.

Die russische Wirtschaft selbst müsste im Interesse ihrer eigenen Zukunft dringend von der Rohstofflastigkeit herunterkommen und vielseitiger werden. Ihr Modernisierungstempo wird zur Zeit deutlich dadurch abgebremst, dass sich ganz Russland auf den international hohen Energiepreisen ausruhen kann. Von deren Schwankungen wird deshalb auch weiterhin die Kaufkraft der Russen und das Wohlergehen des Landes abhängig sein. BARBARA KERNECK