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Archiv-Artikel

Kläffer lösen rechtswidrige Razzien aus

GEWALT In Göttingen machen die Polizeieinsatzkräfte vier Angehörige der linken Szene für einen Brand in der Ausländerbehörde verantwortlich. Doch noch ist fraglich, ob das Feuer überhaupt ein Anschlag war

Der niedersächsische Verfassungsschutz spricht von „Schwelle zum Terrorismus“

GÖTTINGEN taz | Es begann mit einem Flugblatt, das die Polizei in der Nähe des Brandherdes gefunden hat: Weil darin „inhaltlich Bezug zur Abschiebepolitik“ genommen werde, so die Göttinger Polizei, gehe sie davon aus, dass es sich bei dem Brand der Ausländerbehörde des Landkreises um einen politisch motivierten Anschlag handelt.

Am 22. Januar brannte es in der Teeküche der Göttinger Ausländerbehörde. Dabei entstand ein Sachschaden in Höhe von 10.000 Euro, ein Mitarbeiter wurde leicht verletzt. Nach Angaben der Polizei soll die Explosion eines angeblich „szenetypischen Brandsatzes“ das Feuer ausgelöst haben. Auch darum, mutmaßt die Göttinger Polizei, könnten es Abschiebungsgegner gewesen sein, die das Feuer gelegt haben.

Weitere Indizien lieferten den Ermittlern zwei aus Nordrhein-Westfalen angeforderte Spürhunde. Die „Man-Trailing-Hunde“ sind darauf trainiert, Menschen aufzuspüren, „unter günstigen Umständen sogar noch nach einem Tag“, wie das Innenministerium NRW mitteilte. Ganze fünf Tage später nach dem Brand sollen die Hunde eine Spur von der Ausländerbehörde bis vor ein linkes Wohnprojekt gefunden haben, das stadtweit bekannt ist. Noch am selben Tag durchsuchten die Beamten mit den Spürhunden die Wohngemeinschaft. Sie sollen laut Polizei in den Zimmern von drei Bewohnern angeschlagen haben, nicht aber bei den Personen selbst. Diese durften der Begehung mit den Hunden nicht als Zeugen beiwohnen.

„Das macht die Durchsuchung rechtswidrig“, sagte der Anwalt der betroffenen Bewohner, Sven Adam. Er hat Beschwerde vor dem Göttinger Amtsgericht eingelegt. Nach seinen Angaben haben die Beamten drei Computer, eine Tube Klebstoff und einen Filzstift beschlagnahmt.

Aufgrund dieser Indizien haben die Göttinger Einsatzkräfte gegen vier Bewohner ein Ermittlungsverfahren wegen „Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion“ eingeleitet. Die Spur führe „in die linksextremistische Szene“, sagte Vizepolizeipräsident Roger Fladung. Und: Es sei ein weiterer Beleg für steigende Gewaltbereitschaft der Linksextremisten.

Ob es sich bei den Tatverdächtigen um Extremisten handele, will die Polizei nicht kommentieren. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, sagte Fladung. Beweise gebe es noch keine, ergänzte Göttingens Kripo-Chef Volker Warnecke.

Trotzdem sprach Hans Wargel, Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, aus Anlass des Brandes von der „Schwelle zum Terrorismus“, die linke Gewalt erreicht habe. Für Stefan Wenzel, Fraktionsvorsitzender der Grünen im niedersächsischen Landtag, ist diese Darstellung „völlig überzogen“. Er forderte „eine professionelle und seriöse kriminaltechnische Arbeit der Polizei“. Auf pauschale Vorverurteilungen solle verzichtet werden.

Eine im Internet dokumentierte E-Mail nährt zudem Spekulationen, dass es sich gar nicht um einen Brandanschlag gehandelt habe. „Am Freitagvormittag ist ein Wasserkocher im Landkreis-Gebäude explodiert“, heißt es darin. Die Mail soll am Tag des Brandes um 14.13 Uhr in der Göttinger Stadtverwaltung kursiert sein. Bereits um 13.30 Uhr hatte die Polizei einen „Brandanschlag“ gemeldet. BENJAMIN LAUFER