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Archiv-Artikel

„Viele Eltern haben Angst“

DEBATTE Jugendämter nehmen Kinder zu häufig aus ihren Familien, kritisiert der Türkische Elternbund

Malik Karabulut

■ 47, ist Vater von drei Kindern, IT-Unternehmensberater und Vorsitzender des Türkischen Elternbunds Hamburg e.V.

Taz: Herr Karabulut, der Türkische Elternbund lädt heute zur Podiumsdiskussion „Jugendamt – wirklich zum Wohle des Kindes?“ Was lässt Sie zweifeln?

Malik Karabulut: Es gibt seit vier, fünf Jahren bundesweit den Trend, dass immer mehr Kinder aus den Familien genommen werden. Diese „Inobhutnahmen“ nehmen jährlich um etwa 20 Prozent zu. Dabei sind nicht-deutsche Kinder überproportional betroffen. Das sorgt bei den Türken und türkischstämmigen Menschen in Deutschland für viel Aufregung und seit einiger Zeit machen sich auch die Menschen in der Türkei Sorgen.

Können Sie Beispiele nennen?

Eine Mutter kommt mit ihrem Kind, das sich den Arm gebrochen hat, ins Krankenhaus. Das Kind war gefallen. Hinterher holt das Jugendamt das Kind aus der Familie. Weil ein Arzt ermittelt hat, dass das Kind misshandelt worden sei. Ein anderer Fall: Ein Vater meldet beim Wohnungsamt Feuchtigkeit im Haus. Zwei Tage später sind seine Kinder weg. Das Ganze ist ein europäisches Problem, das auch in Holland, Belgien und Frankreich besteht. Aber in Deutschland sind die Zahlen am höchsten.

Die wären?

Die aktuellsten Daten stammen aus dem Jahr 2011. Da wurden insgesamt 38.500 Kinder in Obhut genommen, davon 9.216 nicht-deutsche Kinder. Nach unseren Recherchen liegt der Anteil der türkischstämmigen Kinder zwischen 3.000 und 5.000. Diese Zahlen sind zu groß.

Woher kommt der Anstieg?

Es gab 2008 eine Gesetzesänderung. Seither ist es für den Staat leichter, Eltern das Sorgerecht zu nehmen. Darunter leiden auch Deutsche. Nur haben es die nicht-deutschen Eltern mit den Behörden viel schwerer. Sie erfahren teilweise nicht mal, wo sich ihre Kinder aufhalten. Und die Kinder kommen seltener in ihre Familien zurück.

Geht es nicht darum, Gefahren für die Kinder abzuwenden?

Inobhutnahme ist die eine Sache. Aber was passiert mit den Kindern danach? Sie kommen teilweise in viel schlimmere Situationen, weil der Staat gar nicht das Personal dafür hat. Oder Kinder kommen in Familien, die einer ganz anderen Religion und einem anderen Kulturkreis angehören.

Wieso übertragen Sie Ihre Veranstaltung per Skype nach Italien, Spanien, Griechenland, Zypern und in die Türkei?

Das Interesse im Ausland ist eben riesig. Wir hatten sogar eine Anfrage aus Amerika. Es ist ähnlich wie bei der Abschiebung von nicht-deutschen Kindern in Sonderschulen ein Thema, das die Deutschen nicht selber bearbeiten. Auch dort musste die UN kommen, um etwas zu bewegen.

Die Hamburger Sozialbehörde sagt, die Zahlen seien nicht überproportional.

Wir bekommen mit, dass viele Eltern Angst haben vor den Jugendämtern. Der Türkische Elternverein wagt sich nicht ohne Weiteres an so ein Thema.

Wer spricht denn heute?

Es ist uns nicht gelungen, einen Hamburger Jugendamtsvertreter zu bekommen. Aber wir haben Experten aus anderen Städten dabei, engagierte Journalisten, einen betroffenen Vater und mit Maitre Grégory einen ehemaligen Mitarbeiter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Podiumsdiskussion, TGH Billstedt, Möllner Landstraße 2-4, 18 Uhr