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Archiv-Artikel

Bericht vom Ende der Zukunft

KULTURKÄMPFE Pervers wäre Menschen der frühen Neuzeit die Idee erschienen, Mühlen zu feiern – ausgerechnet am heiligen Pfingstfest! Und doch war’s Gottfried Wilhelm Leibniz möglich, in ihnen das Heil der Welt zu erkennen

VON BENNO SCHIRRMEISTER

Vor 330 Jahren tobt auf dem Harz ein Streit um Windmühlen, für sie, gegen sie, als Objekte der Hoffnung, der Angst und des Hasses. Vordergründig geht es um Macht: Der hannoversche Hofphilosoph Gottfried Wilhelm Leibniz will Windkraftanlagen für die Grubenarbeiten nutzen. Und das Bergamt will sich da nicht reinpfuschen lassen.

Beide Seiten versuchen Herzog Ernst August zu überzeugen: Das Amt verleumdet Leibniz als „gefährlichen Mann, mit dem uebel zu tractiren“ sei. Der keilt zurück: Rückständig! Pflichtvergessen! Vetternwirtschaft! Man reicht Zahlenwerke bei Hofe ein: „Das Bergamt“, referiert Eike C. Hirsch in seiner Leibniz-Biografie, „erwartet für die kommenden zwölf Jahre einen Verlust von 128.100 Talern.“ Leibniz kontert mit einer ultra-exakten Gewinn-Prognose von 115.509 Talern und 12 Groschen.

In den tieferen Schichten des Streits finden sich Erklärungen für seinen erbitterten Zungenschlag: Es geht um Mühlen. Klar, einerseits zählen die zum Allegorien-Repertoire fürs Heilsgeschehen: Das Korn stirbt in der Mühle, um als Mehl aufzuerstehen. Es gibt Darstellungen, in denen Jesus zu Hostien zermahlen wird, fast wie später Max und Moritz.

Noch mehr aber wecken Mühlen Argwohn. Vor allem die Windmühlen des Nordens, der auch der frühen Neuzeit als Weltgegend großer Winde gilt. Diese aber treiben Hexen und Teufel an, und Dämonen wohnen in ihnen, hat Professor Johannes Freitagius beobachtet. Der ist Leibarzt von Herzog Philipp-Sigismund von Braunschweig-Wolfenbüttel und Lüneburg, dem Fürstbischof von Verden und Osnabrück und Domherren zu Bremen. „Ich spreche nicht von erfunden Geschichten“, mahnt Freitagius, als er in seinen „Noctes Medicæ“, einem 1616 gedruckten Traktat über den Missbrauch von Medizin, darlegt, dass der Norden wegen seiner starken Winde als „Reich des Antichristen“ zu betrachten ist. Er stützt sich dafür auf Paulus: Der schreibt ja im Epheser-Brief, Satan sei „der Fürst der Lüfte“. Nur: Was sind das für Menschen, die mit mysteriösen Apparaten die Winde fangen?

Auch Wassermüller sind dubios: Der von Scheeßel etwa war mit dem Teufel im Bunde, weshalb ihn Anno Domini 1500 die reinigende Flut samt seiner Höllenmaschine wegschwemmt. Die Kirche bleibt heil. Aber der Wind ist schlimmer: Man spürt ihn, kann ihn aber nicht fassen, er bläst dir die Sünde ins Ohr und üble Geräusche, das Klappern, das Heulen. Und oft weht er nachts, sodass der Müller arbeitet, wenn brave Leute schlafen. Das ist doch unheimlich. Und wen wundert’s, dass ein Kobold in der Windmühle bei Rinteln haust und der Leibhaftige welche in Mecklenburg betreibt und in Holstein. Im Harz baut er dem Müller einmal „eine ganz tadellose Mühle“, direkt „auf die Spitze des Rambergs“, in „einer einzigen Nacht“. An Pfingsten einen Mühlentag zu begehen, wäre Menschen der frühen Neuzeit pervers erschienen: Feiert ihr dann Karfreitag auch Galgen-Feten?

Müller stehen damals auf einer Stufe mit Scharfrichtern, Latrinenputzern und Chirurgen: nützlich. Aber igitt. Folge: Müllerssöhne müssen Müller werden. Sie zu heiraten ist verpönt – außer „frau“ ist Müllerstochter. Öffentliche Ämter zu bekleiden, selbst als Zeuge bei Gericht aufzutreten ist Müllern gesetzlich verboten: Sie sind ja unehrlich. Das steht fest, so sicher, wie ihre Frauen Huren sind.

Deswegen ist der Name auch so verbreitet: Ein Schlosser kann auch mal nach Haarfarbe oder Frisur benannt sein, ein Bauer vom Krongut König heißen. Ein Müller aber trägt den Namen Müller. Der ist ein Stigma, ähnlich einer Pestklapper. So lässt sich verhindern, dass unehrliche Menschen die Position der ehrlichen einnehmen.

Ein Umdenken beginnt im Laufe des 16. Jahrhunderts. Die kaiserliche „Reichs-Staenden Policey-Ordnung“ von 1577 hebt den Ausschluss der Müllerskinder von anderen Zünften auf. Aber noch 1731 muss das „Reichsgutachten Der Handwercker abgestellte Mißbræuche betreffend“ das Thema eingehend erörtern. Und subkutan wirken Müllervorurteil und Mühlenangst viel länger nach: Noch 1860 gestaltet Wilhelm Busch einen diabolischen Windmüller, der seiner Technologie auch sadistische Schaulust abgewinnt: Während sie für ihn arbeitet, tötet die Apparatur Tiere, quält Menschen – und der Müller beobachtet es „mit Vergnügen“.

Der Triumph dieser – per se entfremdeten Windmüllers-Arbeit – ist nicht dauerhaft. Dank seiner Hände Fleiß besiegt der Bauer den Maschinen-Mann. Und auch Leibniz scheitert. An seiner Verblendung.

Denn Leibniz weiß, trotz eines Misserfolgs – Sabotage! – an der Grube St. Catharina: Er hat die Zukunft im Kopf und das Heil der Welt in Händen – in Gestalt der „Horizontalwindkunst“, einem Rad mit vertikaler Achse. Das setzen sogar Schwachwinde in Gang, und egal von wo. Im radikalen Vorgriff auf Fragestellungen des Industriezeitalters will Leibniz nichts mahlen, sondern die Windenergie in eine dauerhafte Form umwandeln. Leibniz plant ein Pumpspeicherkraftwerk. Im Herbst 1684 steht der Bau am Unteren Eschenbacher Teich. Höhe: 11 Meter, Durchmesser: 15. „Über ein Kegelrad wurde eine Förderschnecke angetrieben“, so Erwin Stein, Professor für Baumechanik. Ein Modell zeigt er in der permanenten Leibniz-Ausstellung der Uni Hannover. Jene 13-Meter-Schraube soll in der Grube verbrauchtes Abschlagwasser wieder nach oben in den Teich hieven, von wo es erneut hinabrauscht, um das große Rad im Schacht zu drehen. Ein perfekter Kreislauf.

Ein vollkommener Reinfall.

Leibniz muss von Sinnen gewesen sein in der Erwartung des Heils seiner Erfindung. Was der große Logiker übersieht, das lässt sich eigentlich nicht übersehen: Es ist klar, dass sich „das Flügelkreuz nicht schneller bewegen kann als der Wind“, so Professor Stein. Der Antrieb kommt ja von hinten, wie beim Segeln. Und dann noch die Reibung! Die Windkunst dreht sich. Aber nur im Leerlauf. Im März 1685 stoppt Ernst August das Projekt. Es sei „so bald zu keiner realität und effect zu bringen“, schreibt er. Die Zukunft ist am Ende.