Kein Arzt um die Ecke

Kranken in armen Stadtteilen drohen weite Wege, weil Praxen ohne Privatpatienten unattraktiv sind

Viele Arztpraxen in armen Stadtteilen werden schließen, wenn sich die Gesundheitspolitik nicht ändert. Darauf haben Vertreter der Hamburger Ärzteschaft im Rahmen der bundesweiten Proteste hingewiesen. „Wir rechnen damit, dass in den ärmeren Stadtteilen sich die Praxen nicht halten können“, so Barbara Heidenreich von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), der Interessenvertretung der Kassenärzte. Junge Ärzte, die eine Praxis von einem Kollegen übernähmen, hätten dort Mühe, ihre Schulden abzustottern.

Bereits heute wanderten Ärzte aus Stadtteilen wie Wilhelmsburg, Horn und Billstedt ab, in denen wenige Privatpatienten wohnen, sagt Dirk Heinrich, der als Hals-, Nasen- und Ohrenarzt in Horn praktiziert. Denn ohne das Geld der Privatpatienten lasse sich eine Praxis nicht bewirtschaften – zu knapp seien die Überweisungen der öffentlichen Krankenkassen.

Um Kosten zu sparen, geben die öffentlichen Kassen den Ärzten vor, wie viel sie für ihre Patienten tun dürfen. Jede Behandlung über dieses Budget hinaus wird von den Kassen nicht bezahlt. Die Kassen könnten eben nicht mehr ausgeben als sie einnehmen, sagt Günter Ploß vom Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK).

Zwar sind in den vergangenen Jahren die Summen, die die Kassen an die niedergelassenen Ärzte überweisen, erhöht worden. Zugleich haben aber deren Leistungen zugenommen und auch die Zahl der Praxen ist gewachsen. Die Patienten werden älter, sie fordern ihrem Arzt mehr ab und der Fortschritt ermöglicht neue Behandlungsweisen. „Letztlich sitzt die Medizin in der Fortschrittsfalle“, sagt Heinrich.

Der Arzt plädiert deshalb dafür, endlich öffentlich zu diskutieren, wie viel Medizin sich die Gesellschaft leisten wolle. Heinrich: „Letztlich wird es darum gehen, etwas mehr zu bezahlen für etwas weniger Leistung.“ Weil die Diskussion darüber ausbleibe, rationalisiere die Politik das Gesundheitswesen durch die Hintertür. Gernot Knödler