Wannsee reloaded

Nach einer Renovierungspause wird die Ausstellung im Haus der Wannseekonferenz heute wieder eröffnet

Am Eingang zum Haus der Wannseekonferenz hängt noch immer die alte Erinnerungstafel aus den Siebzigerjahren. In etwas ungelenken Worten wird hier der „durch nationalsozialistische Gewaltherrschaft umgekommenen jüdischen Mitmenschen“ gedacht. Doch sonst ist alles neu in der seit 1992 bestehenden Dauerausstellung der Gedenk- und Bildungsstätte, die nach mehrmonatiger Renovierungspause am 19. Januar wiedereröffnet wird. Für 605.000 Euro aus Bundes- und Landesmitteln wurde die Schau modernisiert: Dokumente aus osteuropäischen Archiven und neuere Forschungsansätze, etwa zur Beteiligung von Wehrmacht und Polizeibataillonen am Vernichtungskrieg, konnten jetzt berücksichtigt werden.

Im Mittelpunkt steht weiterhin das von Adolf Eichmann am 20. Januar 1942 verfasste Protokoll der Wannseekonferenz, das im Speisezimmer der Villa auf einem stilisierten Konferenztisch als Faksimile zu sehen ist. Auf Einladung Reinhard Heydrichs trafen sich hier 15 hochrangige Vertreter der SS, des Reichssicherheitshauptamts, der NSDAP und verschiedener Ministerien und koordinierten die auf allerhöchster Ebene bereits beschlossene planmäßige Deportation und Ermordung der europäischen Juden. Wie man heute weiß, war der Völkermord im Osten zu diesem Zeitpunkt schon in vollem Gange. Pädagogisches Anliegen der Ausstellung ist es, historische Zäsuren als das Resultat vieler kleiner Einzelschritte begreifbar zu machen. Denn die Ausführung des massenhaften Mordens entwickelte sich in wechselnder Dynamik aus zentraler Planung und lokal unterschiedlich ausgeprägter Eigeninitiative der jeweiligen Besatzungsbehörde. Deswegen hätten sich Handlungsspielräume für vereinzelt rettende Widerstandshandlungen eröffnet.

Einigen Hintersinn verrät das neue Nutzungskonzept der Räume: Der Rundgang ist so aufgebaut, dass die auf die Lebenswelt in Deutschland bezogenen Themen – Judenfeindschaft, Weimarer Republik und Drittes Reich – in den vorderen Repräsentationssälen mit Seeblick angesiedelt sind. Die hässliche Kehrseite – Deportation, Ghettos, Zwangsarbeit, Konzentrationslager – finden sich im Dienstbotentrakt zur Gartenseite.

Womöglich ein wenig überstrapaziert wird diese implizite pädagogische Ironie der Schau, wenn in der Sektion „Handlungsspielräume unter deutscher Besatzung“ ausgerechnet ein Foto mit Leni Riefenstahl zu sehen ist, die laut Bildlegende gerade „entsetzt den Mord an den Juden“ verfolgt. Ausführlicher erläutert der Begleittext auf einer anderen Tafel, dass die umstrittene Nazifilmerin am 12. September 1939 Zeugin eines Kriegsverbrechens in Polen geworden sei, bei dem 22 Juden von Wehrmachtsangehörigen erschossen wurden. Riefenstahl soll sich daraufhin beim Befehlshaber der 10. Armee über das Vorgehen der Soldaten beschwert und ihr Amt als Kriegsberichterstatterin niedergelegt haben. Welche weiteren Handlungsspielräume ihr das Dritte Reich außerdem noch gewährte, bleibt leider unerwähnt.

Besonders stolz ist der Ausstellungsarchitekt Rainer Lendler auf die „schwebenden Textbänder“, die „der Ausstellung gerade wegen ihrer historischen Schwere eine gestalterische Leichtigkeit“ verleihen sollen: Auf parallel verlaufenden Führungsschienen sind die Schautafeln von der Wand abgesetzt und erlauben eine mehrdimensionale Präsentation verschiedener Inhaltsebenen. Sie scheinen sich wirklich von den frisch erneuerten textilen Wandbespannungen der Wannseevilla abzuheben. So solle Lendler zufolge das „Eigenleben der historischen Räume“ gegenüber der Ausstellung gewahrt bleiben, denn diese sei ja „nur partiell mit der Geschichte des Hauses verwoben“.

Fast will man glauben, der stilvolle Ort der „Endlösung“ ließe sich durch solche verklemmten lokalhistorischen Witzigkeiten ein wenig einhegen. Gedenkstättenleiter Norbert Kampe sagt es so: „Wegen der Vorgaben des Denkmalschutzes musste die Ausstellung sich einpassen in diese historischen Räume.“ Natürlich fragt man sich, ob die edlen Wandbespannungen nicht vor 1988 schon einmal mehr gelitten haben: 40 Jahre lang diente die Wannseevilla als Berliner Landschulheim. Der Kinder wegen war hier in den Sechzigerjahren die erste Initiative des Publizisten und Auschwitz-Überlebenden Joseph Wulf zur Errichtung einer NS-Forschungsstelle gescheitert. Und irgendwie haben die Wandbespannungen ja leider doch mit der Ausstellung zu tun: So viel Geld hat die zusätzliche Renovierung verschlungen, dass für den Druck eines neuen Ausstellungskataloges jetzt nichts mehr da ist.

JAN-HENDRIK WULF