: Die Zeichen bleiben leer
SUBBASS Die volle Erfahrung irdischen Leidens: Das große Popgeheimnis James Blake trat auf seinem einzigen Deutschlandkonzert in Köln auf. Es wurde gekuschelt
Das Geheimnis von James Blake ist vier Buchstaben lang. Es steht am anderen Ende der Bühne, gegenüber von Blakes Burg aus Synthesizern. Seine Holzvertäfelung ist ein wenig abgewetzt, aber der Schriftzug ist noch lesbar: Moog. Davor sitzt ein unauffälliger Typ mit Fransenpony und noch weniger auffälligem blauen Hemd. Und immer wenn er seine Hände an den Moog legt, schichten sich die Basskaskaden. Kaum hör-, aber immer fühlbar wandern sie durch das Publikum, das dicht gedrängt vor der Bühne des Kölner E-Werks steht: Eine Gemeinde, vereint unter einem Baldachin aus Subbass. Sie wartet auf die Stimme ihres Erlösers: James Blake. Eine Rolle, die ihm nicht behagt.
Unter lautem Jubel betritt er kurz vor Mitternacht die Bühne des Electronic Beats-Festivals. Er hält sich knapp, nuschelt im besten Standardenglisch eine spärliche Begrüßung, sagt zwischendurch mal „Thank you“ und lässt ansonsten seiner Musik den Vortritt.
Konzentriert sitzt er dann hinter seinen Synthesizern, seine Hände huschen über Klaviatur und Regler. Der Klavierschüler Blake spielt präzise, seine Band und er haben längst einen gemeinsamen Groove gefunden. Und was auf dem neuen Album noch verhuscht und maniriert klingt, schwillt live zu einer Wand aus synthetischen, teils sogar sperrigen, Flächen, spärlichen Pianosoli und Blakes Gesang an.
Jungenhaft ist er, dieser Gesang, aber er spielt nicht mit der Unschuld wie die Beach Boys, sondern möchte am liebsten die volle Erfahrung irdischen Leidens hörbar machen. Blake reiht heute Abend die Stücke seiner frühen, elektronisch geprägten Maxis neben die blauäugigen Gospelstücke seines neuen Werks „Overgrown“. So erzählt er seine eigene Geschichte, die des Sample-Wunderkinds zur ausgebildeten Songwriterstimme, ein „Geist, der Schritt für Schritt seine materielle Form annimmt“ (der britische Popautor Mark Fisher).
Aber auch als vollendete Form, von Blakes schlaksigem Körper zusammengehalten, bleibt seine Stimme unbestimmbar. Was soll man auch fühlen, wenn jemand in ein Mikro haucht und sich sein Gesang dank eines kleinen Loopsamplers verdoppelt, sich um sich selbst windet und immer wieder im eigenen Echo verfängt und verflüchtigt? Die Antwort bleibt unklar. Vielleicht ist nur wichtig ist, dass man fühlt – nein –, dass man gefühlig ist. James Blake ist das uneingelöste Versprechen auf einen kollektiven Augenblick – intim, euphorisch, was auch immer.
Das hat er mit seinen Fans gemeinsam. Als Blake „Limit to your Love“, die sanfte Klavierballade mit dem fast schon gewalttätigen Subbass anstimmt, kuschelt sich ein paar Meter neben mir ein Paar ineinander. Sie zücken die Smartphones, halten sie nebeneinander in die Höhe und kuscheln weiter. Eine Szene wie aus einem Werbespot des Hauptsponsors von Electronic Beats. Auf der Bühne schlägt das Stück von der melancholischen Ballade zum Old-School-Dubstep um: verhallt, paranoid, schleppend.
Und die Subbässe machen weiter, die Kamera-Apps machen weiter, die kuschelnden Pärchen machen weiter. Und die Zeichen bleiben leer.
CHRISTIAN WERTHSCHULTE